Literatur: Richard P. Appelbaum/William L. F. Felstiner/Volkmar Gessner (Hg.), Rules and Networks: The Legal Culture of Global Business Transactions, Oregon, 2001; Armin von Bogdandy, Demokratie, Globalisierung, Zukunft des Völkerrechts – eine Bestandsaufnahme, ZaöRV 63 (2003) 853-877; Marie-Laure Djelic/Sigrid Quack, Transnational Governance through Standardsetting, in: Glenn Morgan/Richard Whitley (Hg.), Capitalisms and capitalism in the Twenty-First Century, New York 2012, 166-189; Jeffrey L. Dunoff (Hg.), Ruling the World?, Constitutionalism, International law, and Global Governance, [Elektronische Ressource], Cambridge [u.a.] 2009; Richard A. Falk, The Declining World Order, 2004; Andrew Halpin, Conceptual Collisions, Jurisprudence 2, 2011, 507-519; Cord Jakobeit/Robert Kappel/Ulrich Mückenberger, Zivilisierung der Weltordnung. Vom Nutzen transnationaler Normbildungs-Netzwerke, GIGA Focus 2009/11, 1-7. Martti Koskenniemi/Päivi Leino, Fragmentation of International Law? Postmodern Anxieties, Leiden Journal of International Law 15 (2002) 553-580; ders., Global Governance and Public International Law, Kritische Justiz 37 (2004) 241-254; Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft (RdG) 1993, 571 ff.; Renate Mayntz, Von der Steuerungstheorie zu Global Governance, in: Gunnar Folke Schuppert/Michael Zürn (Hg.), Governance in einer sich wandelnden Welt, 2008, 43-61; Eric A. Posner, The Perils of Global Legalism, 2009; Carl Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, 1950; ders., Einheit der Welt, Merkur 6 (1952) 1-11; William L. Twining, A Post-Westphalian Conception of Law, Law and Society Review 37, 2003, 199-257; Karl-Heinz Ziegler, Die Bedeutung des Westfälischen Friedens von 1648 für das europäische Völkerrecht, Archiv des Völkerrechts 37 (1999) 129-151; Michael Zürn, Vier Modelle einer globalen Ordnung in kosmopolitischer Absicht, PVS 52, 2011, 78-118.
Internetquellen: Center on Law and Globalization der University of Illinois College of Law und der American Bar Foundation; LSE Global Governance der London School of Economics.I.
I. Vom westfälischen Staatensystem zur Weltstaatsperspektive
1. Globalisierung durch die juristische Brille
Eine gewisse Vereinheitlichung des Rechts ist ein langfristiger historischer Vorgang, bei dem durch Import oder Oktroyierung ganzer Normenkomplexe partielle Übereinstimmungen des Rechts über Staatengrenzen hinweg entstanden sind. So verfolgt man in der Rechtsvergleichung, wie sich vier oder fünf große Rechtsfamilien über die Welt ausgebreitet haben. Durch die Globalisierung hat sich dieser Trend beschleunigt. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks begann ein Wettrennen des Westens, um den ehemals sozialistischen Staaten das eigene Rechtssystem zum Import anzubieten. Die Weltbank verlangt von Entwicklungsländern die Übernahme rechtsstaatlicher Institutionen nach westlichem Muster. Heute gibt es keine partikulare Rechtskultur mehr, die nicht in irgendeiner Weise von anderen beeinflusst ist. Es gibt sogar eine erhebliche Konvergenz (u. § 98). Das bedeutet indessen keineswegs das Ende unterschiedlicher Rechtsordnungen. Ein einheitliches Weltrecht, das alle Unterschiede aufheben würde, wird es ebenso wenig geben wie einen einheitlichen Stadtplan. Bei der Suche nach einem Weltrecht geht es vielmehr um eine zusätzliche Schicht oder Ebene des Rechts.
Betrachten wir die Globalisierung durch die juristische Brille, so sehen wir zunächst das Völkerrecht, internationale Verträge und supranationale Organisationen. Dabei handelt es sich sozusagen um das nach außen gewendete Recht der Staaten.
Dem Leser wird auffallen, dass ich mich immer wieder gegen die in Rechtssoziologie und Politikwissenschaft verbreitete Geringschätzung des Staates wende. Diese Differenz erklärt sich zum Teil daraus, dass man das internationale und supranationale Recht als Gegensatz zur staatlichen Sphäre ansieht, während ich insoweit von einer Extension der Staaten ausgehe. Zum anderen Teil werde ich die Differenz daraus erklären, dass die Rechtssoziologie sich für ihr state bashing zuvor ein verzerrtes Bild des Staates aufgebaut hat (u. IV).
Die neue Frage lautet, ob und wie aus dem Völkerrecht oder – in der englischen Terminologie: dem International Law – im Zuge der Globalisierung durch Wachstum und Intensivierung etwas Neues entsteht, nämlich ein supranationales Weltrecht, das letztlich in einen Weltstaat münden könnte. Das Mengenwachstum dieser neuen Rechtsschicht ist groß, ihre Qualität dagegen dürftig. Ganz allgemein ist sogar von einer Fragmentierung des Weltrechts die Rede (u. III. 1).
Der Weltstaat ist nicht in Sicht. Ob er überhaupt möglich und gegebenenfalls auch wünschbar wäre, wird heftig diskutiert. In dieser Diskussion nimmt die meisten Rechtssoziologen eine eher abwehrende Haltung ein. Es wird vor allem betont, dass der Blick auf das offizielle Recht eine zentrale Entwicklung übersieht, nämlich wie transnationales Recht de facto durch eine Vielzahl von privaten Akteuren geformt wird und die weltweiten Wirtschaftsbeziehungen strukturiert. Im Hintergrund steht aber auch eine normativ besetzte Theorie des Rechtspluralismus, die mit einer Abneigung gegen hierarchische Strukturen einhergeht.
2. Konzepte einer nachwestfälischen Weltordnung
Die Basis für die Suche nach einem Weltrecht ist vorbereitet durch das Konzept einer nachwestfälischen Weltordnung (post westphalian world). Gemeint ist, dass sich der Zuschnitt der Nationalstaaten, wie er sich nach dem Westfälischen Frieden herausgebildet hatte und dem eine bestimmte normative Weltordnung inhärent war, im Zuge der Globalisierung verändert hat. Das Konzept geht eigentlich schon auf Carl Schmitt zurück, wird aber heute gewöhnlich mit dem Namen Richard A. Falk verbunden.
Der Westfälische Friede, der 1648 den 30jährigen Krieg beendete, hinterließ der Welt ein System souveräner Territorialstaaten. Zu einem Staat gehörte ein bestimmtes Territorium mit seiner Bevölkerung und innerhalb des Territoriums eine oberste Gewalt. Staatsfreies Territorium wurde Gegenstand der Kolonialisierung. Im Verhältnis der Staaten zueinander galten, jedenfalls in der Theorie, unabhängig von ihrer Größe, der Grundsatz der Gleichberechtigung und das Prinzip der Nichteinmischung, und zwar nicht nur hinsichtlich der Konfession. Die Balance zwischen den Staaten wurde jedoch nicht von Recht und Moral getragen, sondern blieb eine Machtfrage mit der Konsequenz, dass auch Kriege zum System gehörten.
Zwar war die Welt noch nie so vollständig in Staaten aufgeteilt wie heute. Aber das Verhältnis der Staaten untereinander hat sich geändert. Der Größen- und Machtunterschied ist weiter gewachsen, so dass das Prinzip der Gleichberechtigung vollends zur Illusion geworden ist. Die meisten Staaten haben Teile ihrer Souveränität an internationale Organisationen abgetreten. Rhetorik und Bewusstsein einer internationalen Staatengemeinschaft haben sich breit gemacht. Damit hat der Grundsatz der Nichteinmischung seine Geltung verloren. Eingriffe zur Friedenssicherung und humanitäre Interventionen unter dem Rechtstitel einer responsibility to protect sind schon beinahe Routine. Akteure sind nicht länger bloß souveräne Staaten, sondern auch inter- und supranationale Organisationen. Nicht zuletzt die weltweit organisierten und vernetzten Kräfte der Zivilgesellschaft fordern und erhalten Mitspracherechte.
Das Konzept einer nachwestfälischen Weltordnung ist jedoch zunächst nur negativ, weil es auf den Souveränitätsverlust der Nationalstaaten und auf ihre Schwächung durch die Globalisierung abstellt. Das alte Völkerrecht beruht auf der Idee einer Koordination souveräner Staaten. Für die Frage, was an die Stelle des alten Völkerrechts treten soll oder wird, werden verschiedene Szenarien erörtert:
- kosmopolitische Weltrechtsperspektive,
- transnationaler Rechtspluralismus,
- graduelle Veränderung der Staatenwelt durch Verdichtung des Völkerrechts,
- Hegemonie eines Staates,
- multipolare Weltordnung durch mehrere große Machtblöcke.
Der Rechtssoziologie dienen solche Konzepte als Beobachtungshilfen. Sie kann zu beschreiben versuchen, wieweit die verschiedenen Szenarien einer möglichen Fortentwicklung empirisch realistisch sind und wieweit sie für legitim gehalten werden (Zürn).
3. Das kosmopolitische Projekt
Literatur: Daniele Archibugi (Hg.), Debating Cosmopolitics, 2003; Ulrich Beck, Politik der Globalisierung, 1998; ders., Power in the Global Age, 2005; ders., The Cosmopolitan Vision, 2006, Ulrich Beck/Edgar Grande, Das kosmopolitische Europa. Gesellschaft und Politik in der Zweiten Moderne, 2004; Christopher Chase-Dunn/Terry Boswell, Global Democracy: A World-Systems Perspective, Protosociology 20, 2004, 15-29; Robert A. Dahl, Can International Organizations Be Democratic? A Skeptic’s View, in: Ian Shapiro/Casiano Hacker-Cordón (Hrsg.), Democracy’s Edges, 1999, 19-36; Anthony Giddens, Entfesselte Welt. Wie Globalisierung das Leben verändert, 2001; David Held, Democracy and the Global Order: From the Modern State to Cosmopolitan Governance, 1995; ders., Global Covenant: The Social Democratic Alternative to Washington Consensus, 2004; ders., Cosmopolitanism. Ideals and Realities, Cambridge 2010; Otfried Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung; 1999; Ulrich Mückenberger, Demokratische Einhegung der Globalisierung?, Kritische Justiz 43, 2010, 38–53; Dieter Senghaas, Zum irdischen Frieden, 2004.
Was man auch noch lesen kann: Hauke Brunkhorst, Düstere Aussichten – Die Zukunft der Demokratie in der Weltgesellschaft, Kritische Justiz 43, 2010, 13-21.
Internetquellen: Jürgen Habermas, The Kantian Project of Cosmopolitan Law, Video eines Vortrags, 2009.
Nach dem Ende des Kalten Krieges wuchs die Hoffnung auf eine neue Weltordnung, gestützt auf Demokratie und Menschenrechte. Die stoische Idee einer universalen Vernunft hatte den Kyniker Diogenes von Sinope (404–323 v. Chr.) auf die Frage nach seiner Heimatstadt antworten lassen: Ich bin ein Bürger des Kosmos (Kosmopolites). Aus dieser Idee speisen sich Vorstellungen zur Reform der UNO und zur Stärkung internationaler Gerichtshöfe, die den Vorrang eines neuen Weltrechts über internationale Gewalt etablieren sollen. Am Ende sollte dann ein Weltrecht mit einer Globalverfassung als letztem Geltungsgrund des Rechts stehen.
Das kosmopolitische Projekt wird mit unterschiedlichen Akzenten vertreten. In Deutschland findet die Kantische Idee einer Konföderation aller Staaten den meisten Anklang. Teil dieser Idee ist die Vorstellung, dass nur demokratische Staaten auf Dauer friedlich sind.
Ein grundlegendes Problem einer föderativen Globalverfassung ergibt sich aus der Ungleichheit der Staaten nach Größe, Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft. Es bleibt unklar, was demokratische Repräsentation auf der globalen Ebene bedeutet. Auch wenn alle Mitglieder Demokratien wären, dürften sie sich kaum auf ein egalitäres Stimmrecht einigen. Aber auch ein Stimmrecht, das nach der Bevölkerungszahl gewichtet ist, hat keine Chancen. Wie das Beispiel der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds zeigen, werden die Mitgliedsstaaten ihr Stimmrecht auch von der Höhe des Finanzbeitrags abhängig machen.
Andere sehen das Endziel in einem Weltstaat und meinen, es sollten Weltbürgerrechte nach dem Vorbild von Staatsbürgerrechten geschaffen werden (David Held, Daniele Archibugi). Andrew Strauss und Richard A. Falk schlugen die Bildung eines Weltparlaments (Global Parliamentary Assembly) vor. Es bestehen jedoch größte Zweifel, ob Demokratie im Weltmaßstab funktionieren kann (Dahl). Richard A. Falk sieht die Basis einer transnationalen Demokratie in der sich formierenden globalen Zivilgesellschaft. Auf die Zivilgesellschaft stellt auch Teubner ab. Er meint aber, der internationalen Politik fehlten die Machtmittel, um die vielfältigen zentrifugalen Tendenzen einer globalisierten Zivilgesellschaft zu kontrollieren; Demokratie habe nur noch eine Chance, wenn politische Prozesse im Schwerpunkt lokal und regional abliefen. Auf dieser Basis entwickeln Teubner und seine Schüler eine spezifische Theorie transnationalen Rechts. Es fehlt indessen auch für solche governance without governments an einem handlichen Demokratiekonzept (Mückenberger).
In die Rechtssoziologie strahlt der Begriff der Konstitutionalisierung aus (u. § 97 IV). Im innerstaatlichen deutschen Recht meint dieser Begriff die Einwirkung der Verfassung auf das einfache Recht. In Völkerrecht und Politikwissenschaft wird ihm eine andere, freilich nicht immer ganz klare Bedeutung beigelegt. Ein Element ist die Hierarchisierung völkerrechtlicher Normen wie sie entsteht, wenn durch völkerrechtlichen Vertrag Institutionen geschaffen werden, die ihrerseits Rechtsakte erlassen können. Ein anderes Element besteht in der Übernahme rechtsstaatlicher Sicherungen und Verfahren im Wege der Selbstverpflichtung transnationaler Akteure, durch die sie eine eigene demokratie- und rechtsstaatsanaloge Legitimation zu gewinnen versuchen.
4. Hegemonie oder multipolare Weltordnung
Literatur: Brun-Otto Bryde, Konstitutionalisierung des Völkerrechts und Internationalisierung des Verfassungsrechts, Der Staat 42, 2003, 61; Jochen Abr. Frowein, Konstitutionalisierung des Völkerrechts, BDGVR 39, 2000, 427; Chantal Mouffe, Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion, 2007 (On the Political, 2005); Jack L Goldsmith/Eric A. Posner, The Limits of International Law, 2005; Eric A. Posner, The Perils of Global Legalism, Chicago University Press 2009; Samuel P. Huntington, Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, 2002 (engl. Original 1997); Carl Schmitt, Begriff des Politischen, Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik 58, 1927, 1-33; ders., Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, 1950; Anne-Marie Slaughter, A New World Order, Princeton, NJ, 2004
Realistischer als die kosmopolitisch inspirierte Hoffnung auf eine zivilgesellschaftlich gestützte transnationale Demokratie ist vermutlich die graduelle Veränderung der Staatenwelt durch die weitere Entwicklung des traditionellen Völkerrechts (governance by governments). In der Folge könnte sich die letzte Stufe der Rechtsbegründung in einem gleitenden Prozess von den Nationalstaaten auf übernationale Einheiten verlagern.
Praktisch wichtiger scheinen jedoch zwischenstaatliche kooperative Netzwerke zu sein. Anne-Marie Slaughter hat detailliert beschrieben, dass neue Formen transnationaler Zusammenarbeit zwischen den Staaten entstanden sind, die ihren Weg nicht mehr über die für die Außenbeziehungen zuständigen Regierungen, Außenminister und Botschafter nimmt. Vielmehr arbeiten die staatlichen Funktionsträger – Polizei, Bildungseinrichtungen, Verfassungsgerichte, Parlamente – auf vielen Ebenen unmittelbar grenzüberschreitend zusammen.[1]
Diese Entwicklung wird jedoch durch hegemoniale Tendenzen der USA und neuerdings Chinas gestört. Viele befürchten, dass das traditionelle Völkerrecht seine Kraft verliert, weil die USA nach dem Ende des Kalten Krieges eine Vormachtstellung erlangt haben, die ihnen gestattet, die Fesseln des Völkerrechts abzustreifen. Tatsächlich gibt es amerikanische Juristen, die das Völkerrecht zur Machtfrage erklären und ihm damit den Boden entziehen. Die USA betrachten sich insbesondere nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als einzige Garantiemacht, die willens und militärisch in der Lage ist, aktiv – und notfalls mit Gewalt – die Welt zu ordnen. Sie waren bisher nicht zu einer Reform der großen internationalen Organisationen (UNO, Weltbank, IMF) bereit, deren Verfassung ihnen ein starkes Übergewicht garantieren. Solche Hegemonie, mag sie auch noch so gut gemeint sein, provoziert unausweichlich Widerstand.
Das kosmopolitische Projekt könnte zu ähnlichen Problemen führen. Zur absoluten Feindschaft, so hatte einst Carl Schmitt behauptet, komme es paradoxerweise dann, wenn sich eine Partei den Kampf für den Humanismus auf ihre Fahne geschrieben habe; denn wer zum Wohle oder gar zur Rettung der gesamten Menschheit kämpfe, müsse seinen Gegner als Feind dieser Menschheit betrachten und damit zum Unmenschen deklarieren. Ähnlich hält heute Chantal Mouffe die Vorstellung von konsensualer globaler Governance, die alle politischen Konflikte überwinden soll, für unrealistisch. Der neoliberale Konsens trage eine Verantwortung für Terrorismus und politischen Radikalismus, weil er von vornherein die Möglichkeit des politischen Konflikts negiere. Ihr Gegenvorschlag knüpft an Ideen von Carl Schmitt an. Schmitt hatte 1950 überlegt, wie sich die durch den Kalten Krieg und den Gegensatz von Kapitalismus und Sozialismus entstandene Spaltung der Welt weiter entwickeln könne und verschiedene Möglichkeiten ins Auge gefasst. Er bezweifelte, dass sich am Ende eine Seite durchsetzen werde und der ganzen Welt ihre Ideologie aufzwingen könne. Für wahrscheinlicher hielt er einen neuen Gleichgewichtszustand, den die USA als Hegemonialmacht garantieren würde. Er sah aber auch eine dritte Möglichkeit in der Entstehung verschiedener regionaler Blöcke. An die Stelle des Staates könnten nach dem Vorbild der amerikanischen Monroe-Doktrin von 1823 neuartige »Großräume« mit einem Interventionsverbot für raumfremde Mächte treten. Damit könnten die Bedingungen für ein neues Machtgleichgewicht zwischen verschiedenen Regionen der Welt gegeben sein mit der Folge, dass sich ein neues internationales Recht entwickeln könnte, das wahrhaftig global wäre. Ein solches System, so meinte Schmitt, vermeide die Nachteile eines Pseudo-Universalismus und wäre in der Lage, mit internationalen Konflikten umzugehen. Mouffe hält eine solche Entwicklung heute nach dem Erstarken Chinas zur Weltmacht, nach der Einigung Europas und nach Ansätzen zur Blockbildung in Asien und Südamerika mindestens für ebenso realistisch wie das kosmopolitische Weltrechtsprojekt, und gibt ihr, wenn auch aus anderen Gründen als Carl Schmitt, den Vorzug, weil sie den letztlich unvermeidbaren Charakter der Politik als Machtkampf einfangen könnte.
Seit der Jahrtausendwende schmilzt die globale Überlegenheit der USA langsam ab. Ihr Anteil an der Weltwirtschaft hat sich von 30 auf 25 % reduziert. Das amerikanische Militär hat sich weder im Irak noch in Afghanistan wirklich durchsetzen können. Die USA haben in der Welt einen Ansehensverlust erlitten und befinden sich auch intern ein einem Veränderungsprozess. Dagegen sind Indien und China stärker geworden. Ob China zur neuen Hegemonialmacht wird oder ob sich eine stärkere internationale Kooperation entwickelt, offen.
II. Fragile Staaten und rechtlose Enklaven
Literatur: Jean Comaroff/John Lionel Comaroff, Law and Disorder in the Postcolony: An Introduction. in: dies. (Hg.) Law and Disorder in the Postcolony, Chicago 2006, 1–56; Thomas Debiel/Daniel Lambach/Dieter Reinhardt, »Stay Engaged« statt »Let Them Fail«, Ein Literaturbericht über entwicklungspolitische Debatten in Zeiten fragiler Staatlichkeit, INEF Report 90/2007; Georg Klute/Birgit Embaló (Hg.), The Problem of Violence. Local Conflict Settlement in Contemporary Africa, 2011; Denisa Kostovicova/Vesna Bojicic-Dzelilovic, Persistent State Weakness in the Global Age, Farnham 2009; Ekkehart Krippendorf (Hg.), Staat muss sein. Muss Staat sein?, Aus Politik und Zeitgeschichte 2010 Heft 34-35, S. 40-46; Simon Fraser University Human Security Report Project at the School for International Studies, The Shrinking Costs of War, Teil II des Human Security Report 2009/2010.
Was im vorhergehenden Abschnitt gesagt wurde, beruht letztlich auf der Vorstellung, dass der Staat eine notwendige Organisationsform der Gesellschaft sei. Tatsächlich gibt es auf der Welt außerhalb der Ozeane keinen staatsfreien Raum. Die Vorstellung eines staats- und damit rechtsfreien Raumes war historisch wichtig, weil darauf die Kolonialisierung gestützt wurde.[2] Aber viele Territorien, denen juristisch Staatsqualität zugesprochen wird, erkennbar an der Mitgliedschaft in der UNO, befinden sich in einem Zustand innerer Unordnung, der sich mit der Vorstellung, dass ein Staat im Großen und Ganzen von einer rechtlich geordneten Zentralmacht befriedet sein sollte, nicht vereinen läst. Vor allem in Afrika südlich der Sahara, aber auch im Kaukasus, in Zentral‐ und Südostasien sowie in der Andenregion ist der Alltag großer Bevölkerungsgruppen geprägt von Staatsversagen oder gar Staatsverfall. Die Menschen sehen sich vielfältiger und unberechenbarer Gewalt ausgesetzt. Minimalbedingungen für die Versorgung der Bevölkerung sind nicht gewährleistet. »Politische Entscheidungs- und Kontrollstrukturen sind durch klientelistische Netzwerke, Patronage oder auch die Existenz machtvoller Parallelstrukturen geschwächt. Das Gerichtswesen ist häufig gelähmt oder gar nicht präsent: Es bleibt unklar, wer überhaupt für die Lösung von Streitfällen zuständig ist. Selbst- und Lynchjustiz ersetzen mitunter ordentliche und traditionelle Gerichtsbarkeit. Die Verwaltung ist häufig durch Korruption, Inkompetenz und eine völlig unzureichende materielle Ausstattung geprägt.« (Debiel u. a. 2007:8). Man spricht insoweit von gescheiterten oder (vorsichtiger) von fragilen Staaten. Der Englische Ausdruck failed states[3] ist für manche ein »imperial kodierter« Begriff amerikanischer Politikwissenschaft (Krippendorf). Die Weltbank spricht von schwierigen Partnern (difficult partnerships), deutsche Wissenschaftler von fragiler Staatlichkeit.
Die Weltbank identifiziert diese Staaten mit Hilfe eines Country Policy and Institutional Assessment (CPIA), das alle Empfängerländer von Weltbank-Krediten erfasst. Die Bewertungen ergeben ein Länderranking und werden auch zur Klassifizierung fragiler Staatlichkeit herangezogen. Alle Niedrigeinkommensländer mit einem Wert von 3.0 oder niedriger auf der CPIA-Skala von 1-6 zählen zur Gruppe der LICUS-Staaten (Low Income Countries Under Stress).
Eine amerikanische Organisation, die sich Fund for Peace (FfP)[4] nennt, erstellt einen Failed States Index. Mit Hilfe eines CAST genannten Computerprogramms werden Länderprofile erstellt und seit 2005 ein Failed State Index erstellt, (zuletzt 2009 für 177 Staaten). Dazu werden zwölf Indikatoren auf einer Skala von eins bis zehn gemessen und ferner fünf Kerninstitutionen bewertet, deren Funktionen für einen stabilen Staat für unabdingbar gehalten werden:
»For sustainable security, a state should have the following Core Five:
- An efficient and functioning civil service or professional bureaucracy
- An independent judicial system that works under the rule of law
- A professional and disciplined military accountable to a legitimate civilian government
- A strong executive/legislative leadership capable of national governance.«
Zur Methode und zu den Datenquellen heißt es auf der Webseite:
»Assessments are based on the identification of the presence and/or intensity of various measures (or sub-indicators), such as HIV-Aids or inflation, for each of the indicators and core state institutions. Using Boolean logic, the CAST software analyzes tens of thousands of articles and reports to determine the relationship of the content to the indicators and to the core institutions.«
Es gibt andere ähnliche Indices, die von der positive Seite herangehen, indem sie Good Governance und die Durchsetzung der rule of law messen.
In nicht wenigen Staaten, die insgesamt nicht als »gescheitert« angesehen werden können, werden doch faktisch manche Landstriche von keiner Staatsgewalt erreicht. Solche Enklaven, in denen sich staatliches Recht nicht durchsetzen kann, so dass dort, jedenfalls aus staatlicher Sicht, pure Rechtlosigkeit herrscht, werden als brown areas bezeichnet.
Der Begriff ist von dem argentinischen Politikwissenschaftler Guillermo O’Donnell geprägt worden. In Untersuchungen über Defizite der Demokratisierung in Lateinamerika entwickelte er die These, dass sich die Demokratisierung innerhalb der Staatsgrenzen regional ungleichmäßig vollzogen habe. Man könne nicht davon ausgehen, dass in jedem Staat in jeder Region das staatliche Recht gleichermaßen in Geltung sei. In vielen Staaten koexistierten blue areas mit robusten rule of law, brown areas, in denen das Recht sich nicht habe durchsetzen können, und green areas, in denen staatliches Recht nur teilweise wirksam sei. (Guillermo O’Donnell, Counterpoints: Selected Essays on Authoritarianism and Democratization. Notre Dame, Indiana 1999). Ein schmaler Band von Guillermo A. O‘Donnell und Philippe C. Schmitter, Transitions from Authoritarian Rule, Prospects for Democracy, Baltimore 1986, gilt als Schlüsselwerk der Politikwissenschaft.
Kleinere oder größere brown areas gibt es in den Konfliktländern Afghanistan, Irak, Burundi, Demokratische Republik Kongo, Demokratische Republik Timor-Leste, Haiti, Liberia, Nepal und Pakistan. Auch mitten in Indien ist der Staat in weiten Landstrichen machtlos.
Verbreitet ist die Vorstellung, dass die totale oder partielle Anarchie in Erbe des Kolonialismus sei. Tatsächlich finden sich beide fast nur in ehemaligen Kolonialstaaten. Aber die Antwort ist so einfach nicht. Tatsächlich ist Anarchie in vielen früheren Kolonien erst Jahrzehnte nach dem Rückzug der Kolonialmacht ausgebrochen. Es dauerte einige Zeit, bis sich zeigte, dass das westliche Staatenmodell, das unter dem Dach der UNO installiert werden sollte, nicht funktionierte. Den meisten Territorien fehlte die kulturelle, ethnische und sprachliche Einheit eines Nationalstaates. Nach einer ersten Welle der Modernisierung durch die Installation einer Verfassung, die Bildung einer Zentralregierung und durch Versuche zur Industrialisierung und den Aufbau einer gewissen Infrastruktur mit Hilfe der noch zu Kolonialzeiten ausgebildeten Eliten kam es bald zu Nachfolgestreitigkeiten und Korruption. Durch Armut und Not wurden ethnische oder religiöse Konfliktlinien aufgerissen. Im Kalten Krieg wurden die neuen Staaten zur Parteinahme gedrängt und litten dann unter Stellvertreterkriegen. UNO-Friedensoperationen der 1990er Jahre waren hinterließen neue Konflikte.[5] Oft waren es bewaffnete Jugendbanden, die zunächst ein Gefühl der Unsicherheit verbreiten und damit eine Spirale der Gewalt in Gang setzen. Ein typisches Verlaufsmuster für die Entstehung von brown areas scheint auch darin zu bestehen, dass sich Söldnerarmeen verselbständigen – so geschehen in Sierra Leone – oder – wie in Mexiko – Einheiten der Armee die Seite wechseln. Dabei geht es auch stets um die Ausschöpfung bestimmter Ressourcen – Diamanten, Öl, oder um Drogenanbau.
In Mexico erklärte im Dezember 2006 der neu gewählte Präsident Felipe Calderón den Drogenkartellen den »Krieg«. Seither verloren dort zwischen 18.000 und 22.000 Menschen ihr Leben. Zu den Opfern gehören nicht nur die Mitglieder rivalisierender Gangs, sondern neben Polizisten in großer Zahl auch unbeteiligte Bürger. Die Bande der Zetas geht auf eine Eliteeinheit der Armee zurück, die Ende der neunziger Jahre von amerikanischen Agenten für die Bekämpfung der Drogenkartelle gebildet wurde und die später die Seiten wechselten. Sie wurde zu den am meisten gesuchten Berufsmördern, stieg aber auch selbst in den Handel mit Drogen, Menschenhandel, Prostitution, Schutz- und Lösegelderpressung ein. Wohl ein halbes Dutzend solcher Organisationen machen den Nordosten Mexikos unsicher. Arme ländliche Gliedstaaten wie Sinaloa, Durango, Sonora oder Ciuahua waren seit Jahrzehnten Hochburgen des Drogenhandels. Der Staat war abwesend. Bis zur Jahrtausendwende hatte die Partido Revolucionario Institucional (PRI) über 70 Jahre in Mexiko regiert. Sie war keine Programmpartei, sondern ein riesiges, fein verästeltes Netz von Abhängigkeiten und Seilschaften. Bis sie die Mehrheit verlor, wurde das Land durch ein inoffizielles Patronagesystem verwaltet in das auch die Drogenhändler integriert waren. Der Staat gewährte ihnen im Tausch für Ruhe und Loyalität bestimmte Transitrouten und wachte über deren Einhaltung.
In den neunziger Jahren verlor die PRI ihr Machtmonopol. Die Drogenkartelle, die sich bis dahin weitgehend auf den Marihuana-Schmuggel beschränkt hatten, erbten von der kolumbianischen Konkurrenz, die unter dem Druck der eigenen und der amerikanischen Regierung zusammenbrach, einen großen Teil des Kokainhandels von Süd- nach Nordamerika. Damit explodierten ihre Erträge und zwischen den Banden entstand ein Verteilungskampf. In den USA deckten sich die Organisationen mit Waffen ein, über die in Mexiko nur die Armee verfügt. Seit der »Kriegserklärung« Calderóns im Dezember 2006 richten die sich nun auch gegen die Polzei. Der Staat ist jedoch zu schwach, um den Kampf zu gewinnen, ja er könnte wohl nicht einmal neue Absprachen mit der organsierten Kriminalität garantieren. Die Verfassung, welche die Gouverneure der Gliedstaaten zu selbstherrlichen Fürsten macht, erschwert ein einheitliches Vorgehen. Engstirnige Parteipolitik und Korruption sind weit verbreitet.
III. Offizielles Weltrecht heute
Literatur: wie zu I.; ferner Andreas Fischer-Lescano/Gunther Teubner, Regime-Kollisionen. Zur Fragmentierung des globalen Rechts, 2006; dies., Fragmentierung des Weltrechts: Vernetzung globaler Regimes statt etatistischer Rechtseinheit, in: Mathias Albert/Rudolf Stichweh (Hg.), Weltstaat und Weltstaatlichkeit, Beobachtungen globaler politischer Strukturbildung, 2007, 37-61; Carmen Thiele, Fragmentierung des Völkerrechts als Herausforderung der Staatengemeinschaft, Archiv des Völkerrechts 46, 2008, 1-41; Daniel Thürer, »Soft Law« – eine neue Form von Völkerrecht?, Zeitschrift für Schweizer Recht 1985, 429-453.
Internetquellen: Gralf-Peter Calliess/Moritz C. Renner, From Soft Law to Hard Code: The Juridification of Global Governance (auch in Ratio Juris 22, 2009); Jacob E. Gersen/Eric A. Posner, Soft Law (auch in Stanford Law Review 2009); Gregory C. Shaffer/Mark A. Pollack, Hard vs. Soft Law: Alternatives, Complements and Antagonists in International Governance, (auch in Minnesota Law Review 94, 2010, 706-799); dies., How Hard and Soft Law Interact in International Regulatory Governance: Alternatives, Complements and Antagonists; Lora Anne Viola, The Reform of Global Governance. Decline of US Hegemony Opens a Window of Opportunity, 2009.
1. Fragmentierung des Völkerrechts
Das Völkerrecht als offizielles Weltrecht ist sehr umfangreich. Aber es ist prinzipiell schwach. Die Schwäche resultiert aus seiner Fragmentierung und aus dem Fehlen starker Institutionen, die es durchsetzen könnten. Auf absehbare Zeit bleibt es wohl eine Wunschvorstellung, das Völkerrecht institutionell so auszubauen, dass es dem staatlichen vergleichbar wird. Das Konzept einer »internationalen Gemeinschaft« hat bisher jenseits der UN-Völkerrechtskommission noch kein Leben gewonnen. Die Loyalität der Menschen gehört nach wie vor dem Staat, dem sie ihre Sicherheit und Versorgung verdanken, und diese Loyalität wankt kaum, wenn der Staat autoritär wird und Menschenrechte missachtet. (E. A. Posner 2009, S. XII.)
Das Völkerrecht ist nicht aus einem Guss, sondern setzt sich aus einer Vielzahl von internationalen Verträgen und Rechtsakten internationaler Organisationen zusammen, die nicht immer widerspruchsfrei zusammenpassen. So kommt es zu Normenkollisionen etwa zwischen Welthandelsrecht und Umweltvölkerrecht oder zwischen Investitionsschutzrecht und humanitärem Völkerrecht. Augenfälliger noch ist die Zersplitterung der Konfliktlösungsinstanzen.
Die Frage nach der Fragmentierung des Völkerrechts bildet ein Forschungsprojekt der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen (UN International Law Commission – ILC). Sie wurde 1947 wurde von der UNO gegründet und hat die Aufgabe, das Völkerrecht zu beobachten und zu seiner Fortentwicklung, etwa durch eine Kodifikation, beizutragen. Die ILC unterhält seit 2002 eine Study Group on the Fragmentation of International Law. Es gibt inzwischen eine kaum mehr übersehbare Anzahl von übernational tätigen Gerichten oder Spruchkörpern, die Streitfälle entscheiden. Das »Project on International Courts and Tribunals«, das gemeinsam von Instituten der New York University und dem University College London betrieben wird, hat eine dreistellige Zahl solcher Konfliktlösungsinstanzen ermittelt. [6] Die große Mehrzahl hat einen völkerrechtlichen Hintergrund.
»Eine geradezu explosionsartige Vervielfältigung voneinander unabhängiger global agierender und zugleich sektoriell begrenzter Gerichte, Quasi-Gerichte und anderer Konfliktlösungsinstanzen ist derzeit zu beobachten. Das ›Project on International Courts and Tribunals‹ identifiziert die beeindruckende Zahl von 125 internationalen Institutionen, in denen unabhängige Spruchkörper verfahrensabschließende Rechtsentscheidungen treffen. Zur internationalen Gerichtsbarkeit zählen neben dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag unter anderem der internationale Seegerichtshof, verschiedene Reparations-Tribunale, internationale Strafgerichtshöfe, hybrid-international-nationale Tribunalen, Handels- und Investitionsgerichtsinstanzen, regionale Menschenrechtsgerichtshöfe und speziellen Konventionsorgane sowie weitere regionale Gerichtshöfe, wie etwa der Europäischen Gerichtshof, das Schiedsgericht der European Fair Trade Association (EFTA), der Benelux-Gerichtshof. Spätestens mit der Installierung des World Trade Organisation (WTO) Appellate Body, des Jugoslawientribunals, des Ruandatribunals und des ständigen Internationalen Strafgerichtshofs wurde der schon länger untergründig wirkende Trend deutlich sichtbar …« (Fischer-Lescano/Teubner 2007, S. 37)
Das offizielle Weltrecht kann man in vier große Komplexe sortieren:
- Das politische Völkerrecht soll den Frieden sichern soll. Als Kehrseite gehören dazu natürlich auch Militär- und Verteidigungsbündnisse. Um diesen Komplex hat sich die Rechtssoziologie bisher wenig gekümmert.
- An zweiter Stelle kommt das humanitäre und kulturelle Völkerrecht.
- Gerade erst im Entstehen begriffen ist als dritter Bereich das internationale Umwelt- und Naturschutzrecht.
- Der vierte Komplex umfasst das Recht der internationalen Wirtschaft.
Der rechtssoziologische Diskurs konzentriert sich bisher auf das humanitäre Völkerrecht und das Recht der internationalen Wirtschaft. Das wichtigste völkerrechtliche Dokument für die Menschenrechte ist natürlich die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Universal Declaration of Human Rights) der UNO vom 10. 12. 1948. Die rechtliche Basis des Weltmarkts bilden das GATT (General Agreement on Trade and Tariffs) und das neuere GATS (General Agreement on Trade in Services) unter dem Dach der WTO (World Trade Organisation). Bei der Neugestaltung des Vertragswerks im Jahre 1994 blieben die ursrpünglichen Regeln des GATT mit ihren kümmerlichen Hinweisen auf Gemeinwohlbelange wie Umweltschutz, Menschenrechte und Arbeitsschutz im Wesentlichen erhalten. Beteiligt sind über 120 Nationen, darunter neuerdings China und Russland. Die WTO hat ein obligatorisches Streitregelungsverfahren entwickelt, in dem Grundfragen der weltwirtschaftlichen Ordnungspolitik ausgetragen werden können. Es gibt eine Vielfalt von Ad-hoc-Schiedsgremien und als Berufungsinstanz den Appellate Body mit sieben Mitgliedern. Er hat schon Hunderte von Streitfällen entschieden.
Daneben gibt es eine Reihe sogenannter PTAs (Preferential Trading Arrangements). Dazu zählen neben der Europäischen Union und der NAFTA (Nord American Free Trade Agreement) das Asia Pacific Economic Cooperation Forum (APEC), die Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) und der Mercado Comun del Sur (MERCOSUR).
2. Soft Law
Bei der Regulierung auf globaler Ebene kommt viel stärker als innerstaatlich sog. soft law zum Einsatz. Der Begriff wird allerdings für zwei recht unterschiedliche Phänomene verwendet.
- Ursprünglich war damit das offizielle internationale Recht gemeint, soweit es sich in Deklarationen, Resolutionen oder Empfehlungen erschöpft und ihm die Mittel zu einer notfalls zwangsweisen Durchsetzung fehlen. Wie es dennoch durch zivilgesellschaftliche Aktivitäten, durch die Medien und durch den politischen Diskurs und teilweise sogar dezentral durch die nationalen Gerichte an Wirksamkeit gewinnt, wird an anderer Stelle erörtert.
- Inzwischen ist es ber üblich geworden, auch die Empfehlungen völkerrechtlich nicht legitimierter Organisationen und die Selbstverpflichtungen transnationaler Akteure als soft law zu bezeichnen.
Schließlich ist der Begriff, der ursprünglich bestimmte Erscheinungsformen des Völkerrechts kennzeichnen sollte, auch für die Analyse staatlichen Rechts übernommen woden.
3. Hierarchisierung und Vergerichtlichung des Völkerrechts
Juristisch ist die Sache, jedenfalls auf den ersten Blick klar: Es gibt keinen Weltsouverän. Alles Völkerrecht leitet sich letztlich von den Staaten ab, ist also eigentlich nur Vertragsrecht. Tatsächlich gibt es jedoch im Völkerrecht eine Tendenz zur Hierarchisierung. Sie begann nach 1945 mit den Nürnberger Prozessen Kriegsverbrecherprozessen, die zwar von den Besatzungsmächten, aber doch mit dem Anspruch geführt wurden, stellvertretend für die ganze Welt zu handeln. Der nächste und wichtigste Schritt war die Gründung der UNO.
In den letzten Jahrzehnten war vor allem die Entwicklung von Gerichtshöfen bemerkenswert, die eine weltweite Zuständigkeit beanspruchen: der Internationale Gerichtshof in Den Haag, der Internationale Strafgerichtshof, der Internationale Seegerichtshof in Hamburg und der Appellate Body der WTO. Man kann von einer Vergerichtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen besprechen. Sie hat bemerkenswerte Folgen. Die Rechtsgrundlagen, nach denen die internationalen Gerichte urteilen, sind in der Regel völkerrechtliche Verträge, die nur einstimmig von allen Beteiligten geändert werden können. Das ist anders als im nationalen Bereich, wo staatliche Gesetzgebung relativ schnell auf veränderte Umstände, aber auch auf unerwartete oder unerwünschte Handhabung der Gesetze durch die Justiz reagieren kann. Die internationalen Gerichte haben ein faktisches Monopol für die Auslegung und Fortbildung der Rechtsgrundlagen. Das gilt auch und besonders für die Europäische Union. Der EUGH sind die Kompetenzen der Union in Hunderten von Artikeln detailliert festgeschrieben. Aber jeder Jurist weiß, dass sich nicht wirklich vorhersehen lässt, welche Probleme eines Tages akut werden und wie sie von den Gerichten entschieden werden. Staatsrechtler werden solche Richterherrschaft kritisch sehen. Sie vermissen die Gesetzgebung als institutionelles Gegenwicht gegen die Rechtsprechung. Globlisierungsfreunde werden dagegen auf den Autonomiegewinn transnationalen Rechts durch die Verrechtlichung verweisen. Vor allem kleineren Staaten, die nicht über genügend politisches Gewicht verfügen, bietet die Vergerichtlichung einen gewissen Schutz gegen die Macht der Großen.
4. Transnationale Regulierung
Literatur: Susan Bibler Coutin/Bill Maurer/Barbara Yngvesson, In the Mirror: The Legitimation Work of Globalization, Law and Social Inquiry 27, 2002, 801–843; Renate Mayntz, Die Handlungsfähigkeit des Nationalstaats bei der Regulierung der Finanzmärkte, Leviathan 38, 2010, 175–187; Wolfgang Streeck, Noch so ein Sieg, und wir sind verloren: Der Nationalstaat nach der Finanzkrise, Leviathan 38, 2010, 159-173.
Das Völkerrecht ordnet in erster Linie die Beziehungen unter den Staaten. Als transnationale Regulierung wird das Recht der grenzüberschreitenden Transaktionen nichtstaatlicher Akteure angesprochen. Sie wurden und werden prinzipiell durch Kollisionsnormen geregelt. Die deutsche Benennung als internationales Privatrecht (IPR) – analog gibt es auch ein internationales Strafrecht, Steuerrecht usw. – ist notorisch missverständlich, denn es handelt sich tatsächlich um nationales (staatliches) Recht, das den eigenen Gerichten vorgibt, welches Recht sie anwenden sollen, wenn Fälle mit Auslandsberührung vor sie gebracht werden, das eigene oder fremdes Recht. Im Englischen wird die Materie plastischer als conflict of laws, also als Rechtskonkurrenz, bezeichnet.
Die traditionelle Methode des Umgangs mit solcher Rechtskonkurrenz durch Auslandsberührung ist im Prinzip völlig unkoordiniert. Jeder Staat entscheidet für seine Gerichte, welches Recht sie anwenden sollen. Zwar haben sich die nationalen Rechte immer schon um eine gewisse Rücksichtnahme bemüht. Deutsches Recht und deutsche Juristen haben sich nicht gescheut, im Interesse sachgerechter Lösungen und eines Entscheidungseinklangs die Gerichte auch auf ausländisches Recht zu verweisen, während die USA eher dazu neigen, alles, was vor ihre Gerichte gebracht wird, dem eigenen Recht zu unterwerfen. Dieser Rechtszustand passt nicht zur Globalisierung. Hier setzt transnationale Regulierung ein.
Sieht man davon zunächst ab, sind nationale Grenzen noch immer insofern relevant, als manche Aktionen, die innerhalb dieser Grenzen legitim und rechtskonform sind, bei Überschreitung der Grenze ihre Rechtmäßigkeit oder jedenfalls ihre Legitimität verlieren. Umgekehrt gibt es auch einige (wenige) Beispiele, dass eine illegitime Transaktion bei oder nach der Grenzüberschreitung legitim wird. Eine einfühlsame Beschreibung, wie sich solche Transnationalität aus der Sicht bestimmter Menschen, sei es bei einer Adoption, sei es der Steuerflucht oder bei Einbürgerungen auswirkt, geben Coutin, Maurer und Yngvesson.
Transnationale Regulierung beginnt bei der Koordinierung des Kollisionsrechts durch Staatsverträge und Völkerrecht, wie sie längst weit verbreitet ist. Beispiele gibt die stattliche Reihe von Haager Übereinkommen oder Konventionen. Inzwischen bietet das Völkerrecht aber auch direkt anwendbare Normen für transnationale Vorgänge. Eine andere Möglichkeit transnationaler Regulierung besteht in der völkerrechtlich vereinbarten Parallelgesetzgebung. Schließlich kann eine freiwillig sich entwickelnde Konvergenz der nationalen Rechtsordnungen bis zu einem gewissen Grade transnationales Recht ersetzen.
Neben diesen klassischen Themen des Völkerrechts, die sich schon aus der Aufteilung der Welt in Staaten ergaben, ist durch die Globalisierung eine Reihe von Regelungsgegenständen mit genuin transnationalem Charakter entstanden. Dazu zählen Umweltschutz, Klimaschutz, Urheberrecht oder die Finanzmärkte. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass die Regulierung gerade wegen der Globalisierung schwieriger geworden ist als zu Zeiten der Dominanz der Nationalstaaten, weil die Reichweite der nationalen Gesetzgebung begrenzt ist, während es an einer kompetenten Weltrechtsquelle fehlt (Mayntz 2010; Streeck 2010).
Ebenso schwierig wie dringlich sind international durchsetzbare Regeln zum Schutz von Urheberrechten und Immaterialgüterrechten, denn mit Hilfe von Computer und Internet lassen sich geschützte Werke aller Art mit minimalen Kosten weltweit verbreiten, und rechnergestützte Werkzeugmaschinen sind in der Lage, viele Produkte nachzubauen. Auch hier gibt es Beispiele nichtstaatlicher transnationaler Regulierung. Sie beziehen ihre Wirkung nicht zuletzt daher, dass die relativ wenigen Internet Service Provider getroffene Absprachen mit technischen Mitteln recht wirksam umsetzen können.[7] Letztlich lässt sich ein wirksamer Urheberrechtsschutz aber nicht durch ein Vertragsregime, sondern nur durch offizielle Regulierung erreichen. Diese Aufgabe hat – unter anderen – die WTO (World Trade Organization) übernommen, die 1994 das GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) ersetzt hat. Daran ist bemerkenswert, dass die beteiligten Staaten solche Regeln nicht mehr frei und alleine untereinander aushandeln, sondern dass eine Vielzahl transnationaler Akteure mitredet. Dazu zählen die global tätigen Wirtschaftsunternehmen ebenso wie transnationale NGOs und Juristennetzwerke. Wirklich überraschend ist das eigentlich nicht. Auch die nationale Gesetzgebung muss sich ja permanent mit der sog. Lobby auseinandersetzen.
Zwar steht die Wirtschaft vielfach im Mittelpunkt des Interesses. Aber angesichts der weltweiten Mobilität ist eine transnationale Regulierung auch für die persönlichen Verhältnisse der Menschen notwendig. Dabei geht es etwa um Immigration, Heirat oder Adoption.
Bei der transnationalen Regulierung helfen wirksam internationale NGOs. Die Aktivitäten von Amnesty International, Greenpeace, Internationalem Roten Kreuz oder der World Wildlife Foundation dienen dazu, koordinierte nationale und internationale Gesetzgebung zu initiieren. Diese und ähnliche Organisationen fungieren als Wächter über die Durchsetzung der bestehenden Vorschriften und als kritische Beobachter ihrer Angemessenheit als Antworten auf die Probleme der Globalisierung.
Nicht mehr zur transnationalen Regulierung gehören die Reaktionen der nationalen Rechtssysteme auf die Kondition der Globalität. Sie können in der Abwehr von grenzüberschreitenden Transaktionen bestehen, also etwa in Einwanderungsverboten, Einfuhrbeschränkungen, Zölle usw. Umgekehrt können nationale Rechtsordnungen grenzüberschreitende Transaktionen erleichtern, etwa durch die Sicherung von Auslandsinvestitionen oder auch nur durch eine Anpassung ihres Kollisionsrechts (Anerkennung von ausländischen Urkunden, Urteilen, Eheschließungen usw.). Solche Anpassung des Rechts an die Globalisierung begegnet dann aber zum Teil wieder völkerrechtlichen Beschränkungen. lokale Recht einzustellen, und sei es mit Hilfe von Korruption. Erst in einem späteren Stadium entsteht Bedarf nach globalisierungsspezifischem Recht. Dann verlangt die sich globalisierende Wirtschaft etwa nach Sicherheit für ihre Investitionen. Dem kommen die Staaten nach, indem sie innerstaatlich Eigentumsgarantien festschreiben.
5. Nationale Regulierung als Wettbewerb oder Race to the Bottom?
Literatur: Larry Catá Backer, Economic Globalization and the Rise of Efficient Systems of Global Private Lawmaking: Wal-Mart as Global Legislator; Horst Eidenmüller, Recht als Produkt, Juristenzeitung 2009, 641–653; Horst Eidenmüller/Andreas Engert/Lars Hornuf, The Societas Europaea: Good News for European Firms, 2009; dies., Incorporating under European Law: The Societas Europea as a Vehicle for Legal Arbitrage, in: European Business Organization Law Review 10, 2009, 1-33; Theodore Eisenberg/Geoffrey P. Miller, The Market for Contracts, 2007; Terence C. Halliday/Bruce G. Carruthers, The Recursivity of Law: Global Norm Making and National Lawmaking in the Globalization of Corporate Insolvency Regimes, American Journal of Sociology 112, 2007, 1135-1202; Roberta Romano, Law as a Product: Some Pieces of the Incorporation Puzzle, Journal of Law, Economics, and Organization 1, 1985, 225–283.
Internetquellen: Bratton, Willliam W., McCahery, Joseph A. and Vermeulen, Erik P. M., How Does Corporate Mobility Affect Lawmaking? A Comparative Analysis, 2008; Susanne K. Schmidt, Problems of Eastern Enlargement. Small Countries in the EU (auch in Zeitschrift für Politikwissenschaft 2006).
Transnationale Regulierung könnte, wie gesagt, weitgehend durch eine Harmonisierung der nationalen Rechte ersetzt werden. Der Tendenz nach wirkt die Globalisierung aber eher als Deregulierung. Kapital und Produktion sind beweglich. Sie können schnell von einem Land in ein anderes verlagert werden, das ihnen günstigere Bedingungen bietet. Beweglichkeit zeigt auch die stattliche Reihe prominenter Steuerflüchtlinge. Daher befindet sich die ganze Welt in einem Standortwettbewerb, und die Vermutung liegt nahe, dass sich daraus Konvergenz oder sogar ein race to the bottom entwickelt, dass also Steuern und Regulierungen aller Art gesenkt würden. Es steht inzwischen beinahe außer Streit, dass neben der Abgabenbelastung vor allem die Überregulierung Kosten verursacht, die sich als Standortnachteil auswirken. Darauf verweisen jedes Jahr wieder die globalen Doing-Business-Reports der Weltbank und anderer Institutionen. Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass Staaten, die besonders erfolgreich an der Weltwirtschaft teilnehmen, ihre Umwelt-, Sicherheits- und Sozialstandards gesenkt hätten, um damit einen Vorteil im globalen Wettbewerb zu erzielen. Eher scheinen die Standards mit der Weltmarktintegration zu steigen, und die Schwellenländer passen sich nach oben an. Allenfalls bei der Steuer gibt es eine gewisse Verlagerung von der Unternehmensbesteuerung auf solche Besteuerungsgrundlagen, die relativ ortsfest sind (Lohnsteuer, Umsatzsteuer).
In den OECD-Staaten sanken die Unternehmenssteuern von 1982 bis 2005 im Durchschnitt um etwa ein Drittel, allerdings mit Unterschieden von Land zu Land. Die alten, wirtschaftlichen starken Industrieländer haben diesen Steuerwettbewerb nicht in gleichem Umfang mitgemacht. 2006 lag der durchschnittliche Körperschaftsteuersatz der G7-Staaten mit 36,5 % um 10 Prozentpunkte höher als der Durchschnittssatz der 27 EU-Staaten mit 25,9 %. Innerhalb der EU weisen die 15 alten Mitgliedsstaaten mit 29,4 % einen im Schnitt um 10 Prozentpunkte höheren Steuersatz auf als in den zwölf seit 2004 neu aufgenommenen Ländern.
Regulierung und Steuersätze sind im Standortwettbewerb nur ein Faktor neben vielen anderen. Der Erfolg eines Landes im Wettbewerb um internationales Kapital ist in erheblichem Umfang von einem positiven Gesamtbild abhängig, das nicht nur von harten rechtlichen und ökonomischen Faktoren geprägt wird, sondern auch von Länderstereotypen und Wahrnehmungen in Medien und Öffentlichkeit. Diese weichen Faktoren werden nach dem Vorbild der Markenforschung in dem Anholt Nation Brands Index vergleichend gemessen. Das Landesimage, das dieser Index zeigt, scheint erhebliche Bedeutung für die Attraktivität des Landes für ausländische Investoren zu haben.[8] Anders als in den bekannten Wirtschaftsindices (o. xxx) erreicht Deutschland hier konstant auf den Spitzenplatz.
Weitere Erklärungen liefert die Neue Ökonomische Geographie. (Als prominenter Vertreter gilt der Nobelpreisträger Paul Krugman.) Mindestens vier Faktoren relativieren die negative Bedeutung von Steuern und (Über-)Regulierung. Wirtschaftsunternehmen siedeln sich bevorzugt in Ballungszentren (Agglomerationen) an, wo sie gemeinsam vorhandene Ressourcen (Infrastruktur, Personal, Lieferanten) nutzen können. Sie suchen große einheitliche Märkte. Eine hohe Verfügbarkeit und Produktivität von Arbeitskräften kann eine starke Regulierung durch Kündigungsschutz, Mindestlöhne und Gewerkschaften ausgleichen. Und schließlich können auch Subventionsanreize hohen Steuersätzen entgegenwirken.
So abstrakt und unverbindlich ist das leicht gesagt. Konkret gibt es dann doch immer wieder Ungleichgewichte und Versuche, durch eine wirtschaftsfreundliche Regulierung auszubrechen. Kleine Länder können sich leichter in Nischen einrichten (Schmidt 2006).
Für Einzelheiten muss hier auf Details verwiesen werden, sie sie etwa im Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung erarbeitet worden sind: Nelly Exbrayat, Jenseits des Steuerwettbewerbs. Wie Regierungen Staatseinnahmen sichern können, WZB-Mitteilungen Heft 127, März 2010, S. 46-48; dort auch weitere Nachweise; dies., The Impact of Trade Integration and Agglomeration Economies on Tax Interactions: Evidence from OECD Countries, 2008.
Anhänger der ökonomischen Analyse des Rechts werden die Dinge anders sehen. Für sie hat die Globalisierung den Marktplatz für einen Regelungswettbewerb eröffnet, auf dem die Staaten mit ihren Rechtsystemen als Produzenten öffentlicher Güter auftreten. Wirtschaftssubjekte werden sich dann in dem Staat niederlassen, in denen sie am effizientesten arbeiten können.
IV. (Noch) Kein Abgesang auf den Territorialstaat
Literatur: James R. Beniger, The Control Revolution. Technological and Economic Origins of the Information Society, Harvard University Press, 1986; Robert Gilpin, The Politics of Transnational Economic Relations, in: Keohane, Robert O./Nye Joseph F. Jr. (Hg.), Transnational Relations and World Politics, Cambridge, Mass. 1972, 48–69; Shalini Randeria, Rechtspluralismus und überlappende Souveränitäten: Globalisierung und der »listige Staat« in Indien, Soziale Welt 57, 2006, 229-258.
1. Etatisten und Globalisten
Abschied vom Staat, der Staat zerfasert, Staatlichkeit im Wandel – das sind heute beliebte Forschungsthemen der Überschriften. Xxx drei Gesichtpunkte.Damit wird der Staat zu sehr mit Nationalstaat gleichgesetzt. Wenn man das internationale und supranationale Recht als Extension der staatlichen Sphäre ansieht, wird der Gegensatz zwischen Staatlichkeit und Globalität schwächer.
2. Separatismus und Neo-Traditionalismus
Die Welt war noch nie so vollständig in Nationalstaaten aufgeteilt wie heute, und der Trend zur Neubildung von Staaten ist ungebrochen. Er erhielt durch das Kosovo-Urteil des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag vom 22. 7. 2010, durch das die Unabhängigkeitserklärung des neuen Balkanstaates im Februar 2008 für völkerrechtskonform erklärt wurde, weiteren Auftrieb. Um Anerkennung kämpfen zur Zeit Transnistrien und Somaliland.
In der Zeit nach 1945 sind nur ganz wenige Nationalstaaten von der Landkarte verschwunden, und das, wie im Falle von Tibet, nur mit Gewalt. Umgekehrt hat sich die Zahl der Nationalstaaten von wenig über 100 auf heute 196 laufend erhöht. Allein in Osteuropa hat sich nach 1989 entlang der alten Ländergrenzen ein Dutzend neuer Nationalstaaten etabliert. Globalisierung und Staatenbildung haben sich nicht als gegenläufige Prozesse erwiesen, auch wenn die Staaten ihre Qualität verändert haben. Wahrscheinlich hat der aus den Erfahrungen nationalistischer Kriege und Diktaturen entsprungene Antinationalismus die große Rolle von Nationalität und Ethnizität im Globalisierungsprozess eher verdunkelt.
Nationalstaaten beziehen ihren Zusammenhalt aus einer gewissen ethnischen, kulturellen und vor allem sprachlichen Homogenität. Sie hat durch die Globalisierung erheblich verloren. Ein Grund dafür sind die durch Kriege oder wirtschaftlichen Sog verursachten Wanderungsbewegungen. Ein anderer Grund ist die Entdeckung der individuellen, religiösen, kulturellen oder rechtlichen »Identität« als Gegenbewegung der Moderne gegen eine »Entfremdung«. Damit verbunden ist eine neue Wertschätzung mehr oder weniger aller überkommenen, vor allem aber der sog. indigenen Kulturen (Neo-Traditionalismus). Sozial erschwert diese Entwicklung eine Integration, wie sie lange im »Schmelztiegel Amerika möglich war. Rechtlich äußert sie sich in einer starken Aufwertung von Minderheitenschutz.
3. Kontrollverlust durch Globalisierung
Vieles spricht dafür, dass die innerstaatliche Rechtssetzung durch globale Phänomene an Kraft verliert, und die Instrumentarien internationaler Rechtssetzung weit hinter dem Globalisierungsprozess herhinken. Die Globalisierung der Transaktionen von Kommunikation bis Transport, von Produktion bis Verschmutzung, die alle Grenzen ignoriert, lässt nationale Rechtssetzung ohnmächtig erscheinen, weil sie an den Grenzen halt machen muss. Akteure auf dem globalen Feld können nationalen Rechten teilweise ausweichen. Soweit sie sich auf kein offizielles rechtliches System stützen können, bauen sie ihre Transaktionen auf der Basis von persönlichen Verbindungen und reziproken Beziehungen. Daraus sind weltumspannende Netzwerke für Transaktionen der verschiedensten Art – Finanzen und Handel, Kommunikation und Verkehr, Tourismus und Wissenschaft – entstanden, die sich dem Zugriff des Rechts oder externer Regulation zu entziehen scheinen. Aber auch global tätige soziale Bewegungen können sich durch ihre Vernetzung rechtlicher Kontrolle emtziehen. So scheint das staatliche Recht an einem Kontrollverlust in Folge der Globalisierung von Transaktionen und Strukturen zu leiden. Aber die Dinge sind so einfach nicht.
Staaten konnten noch nie die völlige Kontrolle über ihre internen und externen Beziehungen ausüben. Auf den ersten Blick scheint es plausibel, dass die entstehenden transnationalen Beziehungen das Kontrolldefizit vergrößert haben, dass angesichts der Komplexität der Steuerung in modernen Wohlfahrtsstaaten und der Schwäche der Institutionen in vielen weniger entwickelten Ländern ohnehin schon erheblich war und ist. Aber noch immer verfügen die Nationalstaaten über ihre rechtlichen Instrumente (Polizei, Gerichte, Geld). Noch immer können sie die Hälfte des Bruttosozialprodukts umverteilen.
Aus Sicht der Politischen Ökonomie ist der Anteil der Staaten am Bruttosozialprodukt (power over resources) ein Maß für ihre Stärke. Die OECD erstellt immer wieder Statistiken aus denen sich kein nachhaltiger Rückgang des Staatsanteils ergibt. Die Höhe des Staatsanteils ist geht auch mit der Verflechtung in die Weltwirtschaft nicht zurück. Ein aufwendiger Sozialstaat bleibt auch bei hoher Integration in den Weltmarkt möglich.
Noch immer gehört die Loyalität der Bürger den Nationalstaaten. Noch immer entscheiden die Nationalstaaten darüber, wen sie zu ihren Bürgern zählen wollen. Auch die Europäische Union macht ihre Bürgerschaft von der der Mitgliedstaaten abhängig (Art. 20 AEUV). Gerade für die (internationale) Personenfreizügigkeit lässt sich – jenseits der Europäischen Union – eher das Gegenteil der Globalisierungsthese beobachten. Die Staaten handeln nach wie vor und sogar zunehmend autonom. Und auch in anderen Bereichen, in denen die Globalisierung weit vorangeschritten ist, haben die Staaten Kontrollmöglichkeiten gewonnen oder zurückgewonnen, so z. B. im Internet.
Im Falle direkter Konfrontation mit transnationalen Akteuren setzen sich in der Regel die staatlich gesteuerten rechtlichen Institutionen durch, weil sie sich auf das staatliche Gewaltmonopol stützen können. Jahrzehntelang hinderten die sozialistischen Länder IBM und Coca Cola, General Motors und McDonalds daran, auf ihrem Territorium zu investieren. Andere Länder nationalisierten das Vermögen multinationaler Konzerne, wiesen die Ford Foundation aus oder unterbrachen die Verbindung einer lokalen katholischen Kirche mit Rom. Gilpin (1972, 69) meint daher sogar, dass multinationale Konzerne tatsächlich als »stimulant to the further extension of state power in the economic realm« wirkten. Er weist darauf hin, dass die multinationalen Konzerne hauptsächlich aus Amerika kommen und dass als Antwort auf diese amerikanische Herausforderung die Regierungen aktive Wirtschaftspolitik betreiben mit dem Ziel, der Macht der amerikanischen Multis durch die Schaffung einheimischer Rivalen von entsprechender Macht und Kompetenz zu begegnen.
Die amerikanische Security Exchange Commission (SEC) konnte letztlich erfolgreich die Insiderhandelsaffaire bei Dennis Levine-Bank Leu International aufdecken. Lokale Tochterunternehmen ausländischer Unternehmen sind gezwungen, sich den Umwelt- und Arbeitsschutzgesetzen zu unterwerfen. Audi, Volkswagen und Toyota wurden von amerikanischen Gerichten für fehlerhafte Wagen haftbar gemacht. Immigranten und Asylanten können hinter Grenzen zurückgehalten oder ausgewiesen werden. Selbst die Aktivitäten des internationalen Terrorismus lassen sich zumindest einschränken. Staatliches Recht hat sich als erfolgreich bei der Restriktion von Import und Export und der Rückführung von Kapital und Gewinnen erwiesen. Firmen, die sich im internationalen Waffenhandel betätigen, können in ihren Heimatstaaten diszipliniert werden. Immigranten und Asylanten können hinter Grenzen zurückgehalten oder ausgewiesen werden. Selbst im Kampf gegen Drogen sind die Nationalstaaten nicht immer auf der Verliererseite.
In weniger entwickelten Ländern kann die Globalisierung die Kontrollkapazitäten des Rechts sogar erhöhen. Multinationale Unternehmen halten sich in zunehmendem Maße an ethische Kodizes, die die strikte Beachtung der Gesetze ihrer Gastländer vorsehen. Häufig zeigen sie sich vorbildlich sowohl bei der Abführung von Steuern wie bei der Einhaltung umwelt- und arbeitsrechtlicher Vorschriften. Gleichzeitig profitieren auch Länder mit weniger restriktiven Standards von den strengeren Anforderungen anderer Staaten, weil globale Konzerne dazu tendieren, ihre Produkte von vornherein auf den restriktivsten Standard zuzuschneiden, vorausgesetzt, dass seine Einhaltung den Zugang zu einem wichtigen Markt eröffnet.
4. Kontrollgewinn durch technische Entwicklung
Dieselbe technische Entwicklung, die viele Transaktionen dem Recht zu entziehen scheint, verleiht dem Recht ungeahnte Kräfte. James Beniger (The Control Revolution, 1986) hat nachgezeichnet, wie sich im Anschluss an die industrielle Revolution und die von ihr ausgelöste Steuerungskrise neue Techniken der Steuerung und Kontrolle bildeten. Durch Telegraphen, Telefone, Schreibmaschinen, Kopiergeräte, Rotationspresse und viele andere Erfindungen wurde das Potential, Informationen zu sammeln, zu verarbeiten und wieder auszugeben, drastisch gesteigert, ein Prozess, der seine Fortsetzung in der Computerisierung und der umfassenden Vernetzung aller Kommunikationsmedien gefunden hat. In einem erneuten Sprung an Kapazitätssteigerung verlaufen die Grenzen zwischen Datensammlung, Datenspeicherung, Datenverarbeitung und Kommunikation zu einer einzigen Infrastruktur. So schwierig es dann sein mag, im Internet die Autoren bestimmter, beispielsweise nazistischer Mitteilungen zu identifizieren, so schwierig dürfte es auch sein, über das Netz heimlich und unbeobachtet zu kommunizieren. Dieser Prozess, der in der Tat den Namen »Control Revolution« verdient, hat auch die Kontroll- und Steuerungskapazitäten des Staates und seines Rechts multipliziert.
5. Binnenglobalisierung der Nationalstaaten
Literatur: Terence C. Halliday/Bruce G Carruthers, Bankrupt, Global Lawmaking and Systemic Financial Crisis, Stanford, Calif., 2009; Heinz Klug, Constituting Democracy, Law, Globalism, and South Africa‘s Political Reconstruction, Cambridge 2000; ders., Hybrid(ity) Rules: Creating Local Law in a Globalized World, in: Yves Dezalay/Bryant G Garth (Hg.), Global Prescriptions, The Production, Exportation, and Importation of a New Legal Orthodoxy, Ann Arbor, Mich. 2002, 276-305; Maira Rocha Machado, Transnational Financial Regulation and Criminal Policy: The Anti-Money Laundering Regime in Brazil and Argentina,2008; Bronwen Morgan, Water: Frontier Markets and Cosmopolitan Activism, Soundings 27, 2004, 10-24; dies., The Regulatory Face of the Human Right to Water, Journal of Water Law 15, 2004, 179-187; dies., Turning Off the Tap. Urban Water Service Delivery and the Social Construction of Global Administrative Law, European Journal of International Law 17, 2006, 215-246; Gregory C. Shaffer, Transnational Legal Process and State Change: Opportunities and Constraints, Minnesota Legal Studies Research Paper No. 10-28, 2010; ders., Transnational Recursivity Theory: A Review Essay of Halliday & Carruthers’ Bankrupt, 2011.
Globalisierung verändert die Optionen für die Rechtssetzung und die Folgekosten jeder Lösung. Nationale rechtliche Akteure müssen auf ihre internationalen Beziehungen und die öffentliche Meinung hinter den nationalen Grenzen Rücksicht nehmen. Internationale Konzerne von Investitionen auszuschließen, kann sich für Kapital und Technologie als kostspielig erweisen. Gesetze über Waffenhandel durchzusetzen, kann Arbeitsplätze vernichten und zu einer verbreiteten Umgehung der Gesetze ermuntern. Harscher Umgang mit Immigranten oder liberaler Umgang mit Asylanten kann Interessengruppen oder ausländische Regierungen empören. Die Bekämpfung des internationalen Verbrechens oder Terrorismus kann traditionelle Freiheiten abbauen und schließlich die Rechtsordnung delegitimieren.
NGOs haben ein Potential zur Kontrolle weltweiter Probleme durch kollektives Handeln entwickelt (Geser 1989). Lokale Gewerkschaften greifen auf Rat und Ressourcen internationaler Gewerkschaftsverbände zurück, um die Rechte der Arbeitnehmer zu erweitern und durchzusetzen. Durch den Ausbau des Völkerrechts und die Übertragung von Souveränitätsrechten auf internationale Organisationen können die Staaten heute mit rechtlichen Mitteln sogar in andere Staaten hineinwirken.
Shaffer systematisiert den Prozess der Binnenglobalisierung mit einer Theorie mittlerer Reichweite. Es handelt sich um einen rekursiven Prozess, der in der Regel damit beginnt, dass nationale Rechtsmodelle, meist europäischen Ursprungs, als Vorbild für internationales Recht dienen. Das internationale Recht verfügt in der Regel über keine direkten Sanktionsmöglichkeiten. Aber es installiert eine Reihe von Rechenschaftsmechanismen (Monitoring, Berichtspflichten, Beschwerdestellen). Auf staatlicher Ebene stellen sich Verwaltungen und zivilgesellschaftliche Organisationen auf die neuen Anforderungen ein, oft unter internationaler Anleitung. Dann gibt es aber auch oft Widerstand, so dass auf der internationalen Ebene erneut verhandelt wird.
V. Internationale Rechtsregimes und Global Governance
Literatur: Anu Bradford, Regime Theory, Max Planck Encyclopedia of Public International Law [MPEPIL], 2007; Rudolf Dolzer, Good Governance: Neues transnationales Leitbild der Staatlichkeit?, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 64, 2004, 535-546; Ernst Haas, On Systems and International Regimes, World Politics, 27, 1975, 147-174; ders., Why Collaborate?, Issue-Linkage and International Regimes, World Politics 32, 1980, 357-405; John G. Ruggie, International Responses to Technology: Concepts and Trends, International Organization 29, 1975, 557-584; Robert O. Keohane, The Demand for International Regimes, International Organization 36, 1982, 325-355; ders., The Analysis of International Regimes, in: Volker Rittberger, (Hg.) Regime Theory and International Relations, Oxford 1995; S. 23-45. Ursula Lehmkuhl, Theorien Internationaler Politik, 3. Aufl. 2001 (Kapitel »Regime-Analyse«); Sigrid Quack, Jenseits von Staat oder Markt: Transnationale Governance nach der Finanzkrise, Max-Planck-Institut fr Gesellschaftsforschung, Aktuelle Themen und Nachrichten 3/2009, 4-6.
Lange habe ich gezögert, die in der Überschrift verwendeten Begriffe zu übernehmen, denn sie sind modisch und schwammig und werden nicht einheitlich benutzt. Das gilt für Governance noch mehr als für den Regimebegriff.
Ein schlimmes Beispiel für die sinnlose Verwendung von »Governance« bieten Debiel, Lambach und Reinhardt (deren Arbeit ich sonst sehr schätze), indem sie bei der Aufzählung von sechs »Kernfunktionen von Staatlichkeit« an jede noch governance anpappen:
»Gewährleistung von kollektiver und individueller Sicherheit (security governance); politische Entscheidungsfindung, die der horizontalen und vertikalen Machtkontrolle unterliegt (political governance); institutionalisierte Konfliktschlichtung und Rechtsdurchsetzung (judicial governance) rechtsgebundene Implementierung legislativer Entscheidungen, die verantwortungsvoll mit öffentlichen Ressourcen umgeht und den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber rechenschaftspflichtig ist (administrative governance); soziale Grundversorgung und Verteilungsgerechtigkeit (social governance); infrastrukturelle und rechtliche Voraussetzungen zur Entfaltung wirtschaftlicher Aktivitäten (economic governance).«[9]
Aber beide Begriffe sind, zumal im Globalisierungsdiskurs, so verbreitet, dass man ihnen nicht mehr ausweichen kann. Beide haben sie gemeinsam, dass sie Formen der Verhaltenskoordinierung bezeichnen, denen es an einer klaren hierarchischen Struktur fehlt. Governance steht dabei eher für die fortlaufenden Bemühungen der Beteiligten. Ein Regime ist eher das Ergebnis solcher Bemühungen.
Der Governancebegriff ist problematisch weil er zwei kaum zusammenhängende Bedeutungen hat. Einmal steht Governance für gute Regierungsführung, aber auch für gute Verwaltung und gutes Management. Das ist der historische Kern, mit dem die Weltbank den Begriff ursprünglich in Umlauf gebracht hatte. Zunehmend steht Governance aber auch für das Zusammenwirken von politischer Steuerung und gesellschaftlicher Regulierung, und das vor allem auf transnationalen Politikfeldern. Auf der Seite der Politik sind sowohl die Nationalstaaten wie das offizielle transnationale Recht beteiligt. Auf der Seite der Gesellschaft sind es private Unternehmen und Verbände und zivilgesellschaftliche Organisationen. Das Resultat erfolgreicher Governance ist typisch ein transnationales Rechtsregime.
Die Regimetheorie ist die politikwissenschaftliche Variante des Institutionalismus, wie er aus der ökonomischen Theorie bekannt ist. Sie beschreibt auf Dauer gestellte Formen der internationalen Kooperation. Ein Regime ist danach ein thematisch zentrierter Komplex von Vorkehrungen zur Behandlung von Problemen und Konflikten, an dem neben Staaten und internationalen Organisationen auch private und zivilgesellschaftliche Akteure beteiligt sein können.
Die Regimetheorie geht auf Ernst Haas, John Ruggie und Robert O. Keohane zurück, und ist eine Fortentwicklung der Interdependenztheorie. Als Definition des »Regimes« zitiert man oft Stephen D. Krasner in: ders., Hg., International Regimes, 1983, S. 1: »International regimes are defined as principles, norms, rules, and decision-making procedures around which actor expectations converge in a given issue-area.« Damit der Ausdruck als Terminus Technicus erkennbar bleibt, wird meistens auch im Deutschen der englische Plural (regimes) verwendet.
Ein internationales Regime soll sich durch vier Merkmale auszeichnen:
- Issue-Specifity: Es geht um die Handhabung kokreter Problemlagen. So gibt es ein internationales Währungsregime, ein Urheberrechtsregime, ein Verschuldungsregime oder ein Klimaregime.
- Proliferation of Actors: Beteiligt sind nicht nur Staaten und internationale Organisationen, sondern zunehmend auch zivilgesellschaftliche Akteure.
- Proliferation of Tribunals: Ein Regime geht typisch mit ausformulierten Regeln und Verfahren einher. Oft gehört zu den Verfahren auch eine gerichtsähnliche Instanz.
- Self-Containedness: Es gibt keinen Weltstaat, und ein internationales Regime ist daher nicht in eine Normenhierarchie eingeordnet.
Beispiel für ein transnationales Rechtsregime, bei dem die Entstehung aus dem Zusammenwirken von politischer Steuerung und gesellschaftlicher Selbstregulierung besonders deutlich ist, bildet das Recht der Finanzmärkte. Von allen Märkten sind die Finanzmärkte am weitesten globalisiert und zugleich in besonderer Weise von rechtlichen Rahmenbedingungen abhängig. Zu einem Musterbeispiel globaler Rechtsentwicklung ist deshalb die Aufsicht über das internationalisierte Bankgeschäft geworden.
Akteure sind auf nationaler Ebene die Gesetzgeber und die Gerichte, Aufsichtsbehörden und Zentralbanken. Durch Deregulierung, Internationalisierung und Exterritorialisierung baute sich spätestens in den 70er Jahren ein erheblicher Problemdruck auf, der vor dem Hintergrund der Devisenturbulenzen des Jahres 1974 zur Bildung des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht führte. Gegründet von den Zentralbankpräsidenten der G-10 Länder, entwickelte er sich schnell zur wichtigsten supranationalen Organisation der Bankenaufsicht. Wiewohl ohne Kompetenzen gegenüber den Ursprungsländern seiner Mitglieder, schuf er doch De-Facto-Standards für die nationale Bankaufsicht, die weitgehend umgesetzt wurden und werden (»Basel I« und »Basel II«). Der Basler Ausschuss unterhielt von vornherein Kontakte zu international tätigen privaten Akteuren, u. a. zu internationalen Fachvereinigungen von Wirtschaftsprüfern. Die wachsende Bedeutung des Derivatengeschäfts führte zur Zusammenarbeit mit dem Technical Committee der International Organization of Security Commissions (IOSCO), dem Institut of International Finance (IIF), einem Zusammenschluss von etwa 300 global agierenden Geschäftsbanken, sowie der in Washington gegründeten Group of Thirty (G30), einem privaten Sachverständigenrat aus Bankpraxis und Wissenschaft. Lütz spricht von »Netzwerken des globalen Regierens«. Sie produzieren »hegemoniale Leitmodelle« der Regulierung, die den Nationalstaaten inhaltlich kaum eine Wahl lassen, ihnen damit aber eine brauchbare Basis bei der Regelüberwachung und Sanktionierung von Regelverstößen liefern.[10]
Die Finanzkrise von 2008/2009 haben solche Regulierungen nicht verhindern können. Das Ausmaß der Krise ist fraglos durch die Globalisierung des Finanzsystems verursacht. Aber sie lässt sich kaum als Folge einer durch die Globalisierung begründeten Regulierungsunfähigkeit erklären. Wenn es richtig ist, dass die Krise ihren Ausgang vom amerikanischen Immobilienmarkt genommen hat, dann hätte die amerikanische Bankenaufsicht vorbeugen können und müssen, denn die direkte Beleihung von Durchschnittsimmobilien ist immer noch ein nationales Geschäft. Es ist auch zu simpel, die internationale Spekulation verantwortlich zu machen. Spekulation setzt in der Regel erst an, wenn eine Prognose möglich ist. Sie ist Folge und Verstärkung einer Fehlentwicklung, jedoch selten Verursacher. Nun ist allerdings mit neuen internationalen Regulierungen des Finanzsystems zu rechnen.
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[1] Der Monographie von 2004 sind Aufsätze vorausgegangen, die im Internet verfügbar sind: Anne-Marie Slaughter, A Typology of Transjudicial Communication, University of Richmond Law Review 29, 1994, 99-137; dies., Judicial Globalization, Virginia Journal of International Law, 40, 2000, 1103-1124; dies., A Global Community of Courts; Harvard International Law Journal 44, 2003, 191-219; sowie für die internationalen Gerichte Michael Nummer, Kooperation internationaler Gerichte. Lösung zwischengerichtlicher Konflikte durch herrschaftsfreien Diskurs, 2009. Vgl. ferner Aura María Cárdenas Paulsen, Über die Rechtsvergleichung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2009.
[2] Daniel Ben Damler, Wildes Recht, Zur Pathogenese des Effektivitätsprinzips in der neuzeitlichen Eigentumslehre, 2008, S. 33 ff., für die englischen – im Gegensatz zu den spanischen und portugiesischen Kolonien.
[3]»Failed States: The Abuse of Power and the Assault on Democracy« (New York 2006; deutsch: Der gescheiterte Staat) ist ein Buch des als Sprachwissenschaftler bekannten Noam Chomsky, in dem er die wilde These ausbreitet, dass die USA auf dem Wege seien als failed state eine Gefahr für die eigene Bevölkerung und für die ganze Welt zu werden. Chomsky will die USA unter die Schurkenstaaten einreihen, weil sie sich nicht um Völkerrecht und internationale Abkommen scheren, weil sie die innere Demokratie aushöhlen und eine unerhörte Machtkonzentration in der Hand der Privatwirtschaft hervorgebracht haben.
[4] Fund for Peace ist eine NGO mit Sitz in Washington, die 1957 von dem Investmentbanker Randolph P. Compton gegründet wurde. Sein Ziel ist die Friedensforschung und die Verbreitung von Ideen, die Kriegen vorbeugen könnten. Dafür werden jährlich über 1,5 Mill. $ aufgewendet. Die Mittel scheinen überwiegend noch aus der Stiftung des Gründers zu stammen.
[5] Ausführlich Tobias Debiel, Konfliktbearbeitung in regionalisierten Bürgerkriegen, 2002.
[6] Das zeigt eine Synoptic Chart des Project on International Courts and Tribunals vom November 2004.
[7] Graeme B. Dinwoodie, Private Ordering and the Creation of International Copyright Norms: The Role of Public Structuring, Journal of Institutional and Theoretical Economics (JITE) 160, 2004, S. 161-180. Vgl. ferner das Schwerpunktheft »Internet Regulation« der ZfRSoz 23, 2002, Heft 1. [Fischer-Lescano/Teubner, Fragmentierung es Weltrechts bei Fn. 39.
[8] Näher Margarita Kalamova, Cool, ideenreich und sexy. Wie das Image eines Landes Investitionsentscheidungen beeinflusst (WZB Mitteilungen Heft 130, 2010, S. 31 f.).
[9] Thomas Debiel/Daniel Lambach/Dieter Reinhardt, »Stay Engaged« statt »Let Them Fail«, Ein Literaturbericht über entwicklungspolitische Debatten in Zeiten fragiler Staatlichkeit, INEF Report 90/2007;
[10] Näher Susanne Lütz, Der Staat und die Globalisierung von Finanzmärkten. Regulative Politik in Deutschland, Großbritannien und den USA, 2002; dies., Convergence within National Diversity – a comparative perspective on the regulatory state in finance. Discussion Paper 03/7, Max-Planck Institut für Gesellschaftsforschung Köln; Torsten Strulik, Risikomanagement globaler Finanzmärkte, 2000.