§ 98 Globalisierung als konvergente Modernisierung (I)

I.   Die Konvergenz von Recht als Modernisierungsprozess

Ein bedeutender Teil der Forschungen zur Globalisierung befasst sich mit der Konvergenzthese, die eine fortschreitende Angleichung der verschiedenen politischen und technischen, sozialen und kulturellen Systeme behauptet. Wenn die Globalisierung tatsächlich auf eine Konvergenz mehr oder weniger aller Strukturen hinausläuft, dann bleibt auch das Recht nicht ausgespart. Die Konvergenz des Rechts über Ländergrenzen hinweg ist ein Dauerthema der Rechtsvergleichung. Überall werden Konvergenzen gesucht und gefunden. Nirgends wird behauptet, dass die Rechtsentwicklung auseinanderdriftet. Es bleibt nur die Frage, wie weit die Konvergenz gehen wird oder umgekehrt, wieviel und welche Varietät am Ende verbleibt.

Die Rechtssoziologie steht vor der Aufgabe, die These von der Konvergenz des Rechts der Gegenwart mit der Globalisierungsdiskussion zu verknüpfen, in der die Frage nach Konvergenz oder Divergenz kontrovers behandelt wird.

Das Recht entwickelt sich nicht unabhängig von der Gesellschaft. Es führt jedoch nicht viel weiter, einfach nur die Phänomene der Globalisierung mit dem Ergebnis von mehr oder weniger Konvergenz zu beschreiben. Interessanter wird die Suche, wenn man die Globalisierung selbst als einen Prozess ansieht, der von gesellschaftlichen Strukturen angetrieben wird. Das leistet die Modernisierungstheorie. Sie hat von vornherein die globale Ausbreitung moderner Strukturen mitgedacht. Für die Analyse der Globalisierung wird die Modernisierungstheorie zur Konvergenztheorie, indem sie die Richtung des Globalisierungsprozesses als Konsequenz aus der Modernisierung der Gesellschaft erklärt. Sie legt die Frage nahe, ob und wieweit die Globalisierung auf eine Konvergenz des Rechts zuläuft oder, umgekehrt, welchen Raum die Globalisierung für einen Rechtspluralismus lässt.

II. Die Modernisierungstheorie als Grundlage der Konvergenzthese

Literatur: David E. Apter, Marginalization, Violence, and Why We Need New Modernization Theories, in: World Social Science Report, Paris 2010, 32-37; Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, 1986; ders., Macht und Gegenmacht im globalisierten Zeitalter. Neue weltpolitische Ökonomie, 2002; Ulrich Beck/Wolfgang Bonß (Hg.), Die Modernisierung der Moderne, 2001; Ulrich Beck/Christoph Lau, Theorie und Empirie reflexiver Modernisierung, Soziale Welt 56, 2005, 107-135Ulrich Beck/Anthony Giddens/Scott Lash, Reflexive Modernisierung, 1996; Anthony Giddens, Konsequenzen der Moderne, 1995; Thomas H. Marshall, Citizenship and Social Class and Other Essays, 1950; ders., Bürgerrechte und soziale Klassen, 1992 (Class, Citizenship and Social Development, 1973; Wolfgang Zapf, Modernisierung, Wohlfahrtsentwicklung und Transformation. Soziologische Aufsätze 1987-1994, 1994; ders., Die Modernisierungstheorie und unterschiedliche Pfade der Entwicklung, Leviathan 24, 1996, 63-77; ders., Modernisierungstheorie – und die nicht-westliche Welt, in: Thomas Schwinn (Hg.), Die Vielfalt und Einheit der Moderne, 2006, 227-235.

Die Konvergenztheorie erklärt die Richtung des Globalisierungsprozesses als Konsequenz aus der Modernisierung der Gesellschaft. Die Modernisierungsthese lässt sich natürlich schon bei den Klassikern entdecken. Hier sei nur Karl Marx zitiert. Jedenfalls in seinen frühen Schriften sah Marx im Kapital die alles bewegende Kraft, die auf der ganzen Welt zunächst die materielle Basis und dann auch den sozialen Überbau mit Einschluss des Rechts revolutionieren werde. Die Aktualität seiner Ideen wird deutlich, wenn man einige Sätze aus dem Kommunistischen Manifest (1847) herausgreift:

»Die große Industrie hat den Weltmarkt hergestellt, den die Entdeckung Amerikas vorbereitete. Der Weltmarkt hat dem Handel, der Schifffahrt, den Landkommunikationen eine unermeßliche Entwicklung gegeben. … Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren. … Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. … Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt. … Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen. Die uralten Industrien sind vernichtet und werden noch täglich vernichtet. … Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen; …. Mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde.«

Dahinter steckt eine Art Konvergenztheorie, die besagt, dass die kapitalistisch wirtschaftende Gesellschaft sich ihre eigene Sozialstruktur und damit auch ihr eigenes Recht schafft, und zwar vermutlich nach dem Vorbild der Entwicklung in Europa und in den USA. Der Kapitalismus hat sich gewandelt. An die Stelle der Bourgeoisie ist das Finanzkapital getreten. Doch die Wirtschaft ist nach wie vor die treibende Kraft der Globalisierung. Man muss deshalb davon ausgehen, dass das Recht der Entwicklung einer Weltgesellschaft eher nachhinkt als dass es sie vorantreibt.

Alle soziologische Großtheorie befasst sich seither letztlich mit der Modernisierung oder der Kritik der Modernisierung. Ich lege hier eine Fortschreibung der struktur-funktional orientierten Modernisierungstheorie zugrunde. Sie nimmt ihren Ausgang bei den Klassikern, die den Durchbruch der Modernisierung zum Thema machten. Zu erklären war der Umbruch, der durch die Industrialisierung in England und durch die Französische Revolution ausgelöst wurde. Von den Klassikern wurde Modernisierung negativ bestimmt als Ablösung der traditionalen oder organischen Gesellschaft durch etwas Neues. Neu waren Bewusstsein und Realität größerer Kontrolle des Menschen über seine natürliche und soziale Umgebung mit der Folge, dass Zweckrationalität zur dominierenden Einstellung wurde. Getrieben wurde die Modernisierung durch Wirtschaft, Wissenschaft und Technik.

Der Durchbruch der Moderne war nicht das Ergebnis einer Reform, sondern der ungeplante Prozess der Generierung neuen Wissens, seiner Ausbreitung und Anwendung. Es bleibt keine Wahl, als diesen Prozess als einen solchen der Evolution zu verstehen. Rationalität als Wissensbasis der Moderne bedeutet Fremdbeobachtung, Selbstbeobachtung und Kontingenzbewusstsein, kurz, sie bedeutet Reflexivität mit der Folge permanenter Reformanstrengungen und Widerstandsaktivitäten. Doch auch solches Akteurhandeln lässt sich von außen als evolutionär oder, bescheidener, als eigendynamisch oder funktional veranlasstes Geschehen auffassen. Das ist das Thema der »klassischen« Modernisierungstheorie, von der gleich die Rede sein wird.

Der Durchbruch der Modernisierung löste dort, wo er sich ereignete, einen Prozess des permanenten sozialen Wandels aus. »Was heute modern ist, ist morgen schon veraltet.«[1] Alle Modernisierung führt nur wieder zu weiterer Modernisierung.[2] Als evolutionärer Vorgang hat sie kein Ziel. Sie begründet einen Prozess des permanenten sozialen Wandels. Einmal in Gang gesetzt, ist die Modernisierung zum Selbstgänger geworden. Sie produziert laufend Innovationen, die sich zwanglos verbreiten und den Wandel antreiben. Ein Ende ist nicht abzusehen. Anders sieht es die Fortschrittsidee, die die Modernisierung seit der französischen Revolution beflügelt hat. Für sie wird die Evolution zum Evolutionismus, vom historischen Vorgang zum gesollten Programm. Am Ende steht die Eine Welt, in der alle großen Unterschiede und Spannungen beseitigt sind und mit ihnen die Gründe für Krieg und Ausbeutung.

Obwohl es sich um einen permanenten Prozess handelt, sind Periodisierungen hilfreich. Die erste oder klassische Periode der Modernisierung war die Industrialisierungsphase, die bis weit in das 20. Jahrhundert hineinragte. Der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung verlagerte sich im 20. Jahrhundert von der Industrie auf Dienstleistungen und auf Informationen. Der Übergang zur nachindustriellen Gesellschaft (Daniel Bell) bildet die eigendynamische Fortsetzung der Modernisierung, die man als zweite Phase der Modernisierung ansprechen kann. Dazu gehört auch schon die weltweite Intensivierung aller Wirtschafts- und Kommunikationsbeziehungen, die als Globalisierung geläufig ist. Während die Industrialisierungsphase mit der Rationalisierung von Produktion und Arbeitswelt, Bürokratisierung und Säkularisierung und einer relativ ungebrochenen Autoritätsgläubigkeit einherging, wuchsen in der postindustriellen Gesellschaft das Verlangen nach persönlicher und politischer Selbstbestimmung und die Wertschätzung von Kreativität.

Die Modernisierung hat parallel auch das politische System und mit ihm das Recht erfasst. Thomas H. Marshall verknüpfte Modernisierungsprozess und Rechtsentwicklung in drei Phasen miteinander: In der ersten Phase wurden die Bürgerrechte etabliert, in der zweiten kamen die politischen Partizipationsrechte hinzu, und in der dritten wurden die sozialen Rechte verwirklicht, die den Wohlfahrtsstaat etablieren.

Im letzten Drittel des 20. Jahrhundert haben sich die dysfunktionalen Effekte der Modernisierung immer stärker bemerkbar gemacht. Auf der materiellen Ebene sind es technische Großrisiken und vor allem der gewaltige Umweltverbrauch, der dem Wachstum Grenzen zu ziehen scheint. Auf der menschlichen Ebene bewirkt die Modernisierung den Verlust der traditionellen persönlichen Beziehungen und der damit verbundenen sozialen Absicherung und darüber hinaus die Marginalisierung großer Teile der (Welt-)Bevölkerung. Die Reaktion auf diese nicht intendierten Nebenfolgen ist entweder Widerstand oder eine Selbstkorrektur der Modernisierung unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit. Diese Periode wird als reflexive oder Zweite Modernisierung gekennzeichnet (Beck/Lau S. 108). In meiner Zählung handelt es sich schon um die Dritte Moderne.

Der Widerstand gegen die Modernisierung hat sich an vielen Stellen formiert, als Widerstand gegen Umweltzerstörung oder gegen kulturelle Einebnung und als Forderung nach sozialer Gerechtigkeit. Er artikuliert sich in wissenschaftlichen Analysen und philosophischen Reflexionen, in gesellschaftlicher Selbstorganisation und in politischen Aktionen. Der Philosoph Martin Heidegger wollte die Durchrationalisierung der Welt, ihre Rechenhaftigkeit und Technizität für das Weltunglück im Allgemeinen und die Katastrophen des 20. Jahrhunderts im Besonderen verantwortlich machen. Die Dysfunktionalität der Modernisierung und der Widerstand sind das Thema neuer Modernisierungstheorien, etwa der von Anthony Giddens und Ulrich Beck. Radikaler noch ist These, nach der die Moderne abgeschlossen und durch eine Postmoderne ersetzt worden sei, welche zentrale Merkmale der Moderne wie Rationalität und Fortschritt irreversibel zerlegt habe. Aber die »unvollendete Moderne« (Habermas) verlangt Fortsetzung. Modernisierung lässt sich nicht aufhalten, sondern wird durch Widerstand allenfalls zur Nachbesserung veranlasst. Damit befasst sich die Fortschreibung der Modernisierungstheorie, etwa durch Wolfgang Zapf als Theorie der weitergehenden Modernisierung oder – grundsätzlicher noch – durch David E. Apter.

Die aktuelle Entwicklung der weitergehenden Modernisierung nenne ich Neomoderne[3]. Sie hat vier Merkmale:

  1. Als nachholende Moderne erreicht sie noch den letzten Winkel der Erde. Technische Modernisierung auf wissenschaftlicher Grundlage, Ökonomisierung und isomorphe Institutionen lassen keine Gesellschaft aus.
  2. Als ungleichzeitige Modernisierung eilen Bevölkerungswachstum und Bildung dem wirtschaftlichen Wachstum voraus.
  3. Als reflexive Moderne betreibt sie die Selbstreparatur der klassischen Moderne.
  4. Als kulturalistische Moderne betont sie den Eigenwert von Kultur und musealisiert, was an kulturellen Traditionen vorhanden ist. Die ganze Welt wird ein Museum.

Die Modernisierungstheorie war und ist heftiger, teilweise polemischer Kritik ausgesetzt. Ihr wurde vorgehalten, sie sei als Instrument des Kalten Krieges zur ideologischen Unterfütterung der Position des Westens entstanden.[4] Ihr wird vorgeworfen, die Vorstellung von einer besseren Gesellschaft europäisch-amerikanischen Musters zum Ziel der Entwicklung zu erheben; im Gewand des Neoliberalismus setze sie nur den Kolonialismus und Imperialismus des 19. Jahrhunderts fort. Als Begleiterscheinungen des wirtschaftlichen Imperialismus werden dann auch Kulturimperialismus und Rechtsimperialismus[5] kritisiert. Schließlich wird der Modernisierungstheorie vorgehalten, dass sie der sozialen Struktur nach dem Schema von Basis und Überbau ein Primat gegenüber der Kultur zuschreibe. Umgekehrt wird ein Primat der Kulturtheorie in Anspruch genommen, dass die Modernisierungstheorie zum bloßen Narrativ der Moderne abqualifiziert.[6]

Fraglos wurde und wird die Modernisierungstheorie normativ aufgeladen. Aber zunächst enthält sie die empirische Aussage, dass die Globalisierung als Angleichungsprozess beschrieben werden kann. Die normative und die empirische Behandlung des Modernisierungsthemas sind unlösbar miteinander verschränkt, und dennoch darf eine soziologische Betrachtung, wie sie hier versucht wird, den Versuch unternehmen, die faktische Seite wertfrei zu analysieren.

III.    Die klassische Modernisierungstheorie

Literatur: Johannes Berger, Was behauptet die Modernisierungstheorie wirklich – und was wird ihr bloß unterstellt?, Leviathan 24, 1996, 45-62; Samuel P. Huntington, The Change to Change. Modernization, Development, and Politics, Comparative Politics 3, 1971, 283-322, S. 288ff; Alex Inkeles, Making Men Modern: On the Causes and Consequences of Individual Change in Six Developing Countries, American Journal of Sociology 75, 1969, 208-225; Alex Inkeles/David H. Smith, Becoming Modern. Individual Change in Six Developing Countries, Cambridge/Mass. 1974; Daniel Lerner, The Passing of Traditional Society: Modernizing the Middle East, Glencoe, The Free Press, 1958; ders., Artikel »Modernization: Social Aspects« in: International Encyclopedia of the Social Sciences, 1968; Talcott Parsons, Evolutionary Universals in Society, American Sociological Review 29, 1964, 339-357/356 (= Evolutionäre Universalien der Moderne, in: Wolfgang Zapf (Hg.), Theorien des sozialen Wandels, 1971, 55-74); The Evolution of Societies, New Jersey 1977.

Politisch etablierte sich nach 1949 der Begriff der Entwicklungshilfe und in der amerikanischen Soziologie die dazu passende zur Modernisierungstheorie. Talcott Parsons lieferte die Großtheorie. Er benannte vier »evolutionäre Universalien«, die einer jeden Gesellschaft überlegene Anpassungsmöglichkeiten geben sollen: eine Verwaltungsbürokratie, einen kapitalistischen Markt, Demokratie und ein universalistisches Rechtssystem.[7] Daniel Lerner und Alex Inkeles übernahmen es, die Modernisierungsthese in vergleichenden Untersuchungen empirisch zu testen. Wenn diese Antriebskräfte überall die gleichen sind, dann müsste die Modernisierung überall den gleichen Verlauf nehmen und am Ende zu Konvergenz und Homogenisierung führen. Diese Vorstellung wurde in der amerikanischen Soziologie nach 1950 zur Modernisierungstheorie. Spezifiziert wurde die soziologische Modernisierungstheorie von Talcott Parsons und Daniel Lerner. Parsons, so sagen seine Kritiker, habe die Werte und Institutionen des europäisch-amerikanischen Kulturkreises zu »evolutionären Universalien« erklärt, und damit die Richtung vorgegeben.

Lerner verstand unter Modernisierung gesellschaftliche Veränderungen, die durch Industrialisierung und Verstädterung, durch die Massenmedien und durch politische Partizipation vorangetrieben wurden. Den harten Kern der Modernisierung sah Lerner im Wirtschaftswachstum begleitet von demokratischer Partizipation an der Politik, der Verbreitung säkular-rationaler Normen, einen Zuwachs an physischer und psychischer Mobilität der Menschen und einen neuen Persönlichkeitstyp, der sich in fremde Rollen hineinversetzen kann.

Alex Inkeles untersuchte den Einfluss des Modernisierungsprozesses auf die Persönlichkeit und befragte dazu 6000 Probanden in sechs Entwicklungsländern. Er stellte fest, dass eine Reihe von Persönlichkeitszügen, die mit der Modernisierung in Verbindung gebracht werden – Offenheit gegenüber sozialem Wandel, Toleranz, Vertrauen in Wissenschaft und technische Methoden – sich in sechs verschiedenen Gesellschaften parallel entwickelt haben. Und zwar spiegeln die Modernitätsindikatoren recht gut die Schulausbildung und die Erfahrung in der Fabrikarbeit.

Viele andere Autoren waren beteiligt, und über manche Details wurde gestritten. Aber es gab doch eine große Linie der Übereinstimmung. Samuel P. Huntington hat sie 1971 in neun Punkten zusammengefasst, die hier (gekürzt in grober Übersetzung = kursiv) übernommen und fortgeschrieben werden.

(1) Modernisierung ist ein revolutionärer Prozess. Der Übergang von der traditionalen zur modernen Gesellschaft verändert alle Aspekte des Lebens. Dem ist nichts hinzuzufügen.

(2) Modernisierung ist ein komplexer Prozess. Er lässt sich nicht auf eine einzige Variable oder Dimension reduzieren. Auf jeden Fall gehören Industrialisierung, Urbanisierung, soziale Mobilisierung, Differenzierung, Säkularisierung, Expansion der Medien, zunehmende Alphabetisierung, Ausbildung und politische Partizipation dazu.

Die von Huntington genannten Variablen haben sich zwar in ihrem jeweiligen Gewicht verschoben, sind aber nach wie vor aktuell.

Allerhand Diskussion gibt es über den Gesichtspunkt der politischen Partizipation. Das gilt besonders für die Frage, ob Demokratie eine mehr oder weniger notwendige Begleiterscheinung der Modernisierung sei. Huntington selbst hat das verneint. Er meinte, entscheidend sei weniger die Regierungsform als vielmehr die Effektivität der Regierung. Die USA, Großbritannien und die Sowjetunion hätten ganz unterschiedliche Regierungsformen. Doch in allen drei Ländern könne die Regierung wirklich regieren. Alle drei Länder hätten starke, anpassungsfähige und kohärente politische Institutionen, eine effektive Bürokratie, gut organisierte politische Parteien, ein hohes Ausmaß an politischer Partizipation in öffentlichen Angelegenheiten, wirksame Systeme der zivilen Kontrolle über das Militär, beträchtliche wirtschaftliche Aktivitäten der Regierung und einigermaßen funktionierende Verfahren für die Regierungsnachfolge und zur Kontrolle politischer Konflikte.[8] Angesichts schlagender Beispiele autoritär gelenkter Modernisierung muss man Huntington wohl beipflichten. Alles andere wäre Wunschdenken. Einen kleinen Trost hält die Lipset-These bereit, nach der wachsender Wohlstand demokratische Verhältnisse fördert.[9] Sie scheint empirisch durchaus triftig zu sein.[10] Sie legt eine Fortschreibung der Modernisierungstheorie nahe, deren Richtung David E. Apter[11] vorgegeben hat. Nur Demokratie kann dauerhaft den »positiven Pluralismus« gewährleisten, von dem die laufende Selbsterneuerung der Moderne abhängt.

Es fällt auf, dass hier und auch sonst in Huntingtons Aufzählung das universalistische Rechtssystem und seine Konkretisierung als Rechtsstaat nicht genannt werden. Das ist vielleicht ein erster Hinweis auf die Frage nach der Rolle des Rechts im Prozess der nachholenden Modernisierung. Besonders kontrovers ist die Säkularisierungsthese. Sie erhält deshalb unter VI. 8) einen besonderen Abschnitt.

(3) Modernisierung ist ein systemischer Prozess. Modernisiert sich ein gesellschaftlicher Bereich, so sind auch andere davon betroffen.

Das ist das so genannte Interdependenztheorem, das besagt, dass alle Teilsysteme der Gesellschaft von der Modernisierung ergriffen werden und dass sie sich parallel entwickeln müssen, damit die Gesellschaft insgesamt den Zustand der Modernität erreichen kann. Diese Annahme ist nicht unproblematisch.[12] Sie hängt insbesondere davon ab, wie man den Zustand der Modernität definiert. Es ist wohl richtig, wenn der von Huntington zitierte Daniel Lerner schreibt, die verschiedenen Elemente der Modernisierung würden als zusammengehörig empfunden, weil sie in gewissem Sinne historisch zusammengehörten.«[13] Und tatsächlich werden alle Teilsysteme der Gesellschaft mehr oder weniger von der Modernisierung affiziert. Die Politik wird zum Dienstleister für die Bürger und muss sich auf Transparenz und Mitbestimmung einlassen. Das Rechtssystem muss die Idee der Gleichheit verarbeiten, sich als Infrastruktur für die Wirtschaft und als Steuerungsinstrument für Regierung und Verwaltung bereithalten. Die Modernisierung verändert Erziehung und Bildung, die nunmehr jedermann einschließen. Sport und Kunst folgen mit einigem Abstand nach. Die Medien entwickeln sich zu einem System der Massenkommunikation. Die Religion leistet noch am ehesten Widerstand. Im Vordergrund aller Modernisierungsanalysen steht jedoch die Wirtschaft. Die Wirtschaft ist der Antrieb der Moderne, indem sie sich selbst auf Wachstum programmiert. Für alle Teilsysteme gilt, dass sie durch Modernisierung irgendwie leistungsfähiger werden mit der Konsequenz, dass diese Leistung an Hand von Indikatoren gemessen und verglichen werden kann.

Interdependenz bedeutet nicht Gleichzeitigkeit. Die Modernisierung des Gesundheitssystems ist seit dem Ende des 2. Weltkriegs in den Entwicklungsländern schneller vorangeschritten als Wirtschaft, Bildung und Säkularisierung. Daher ist der in den durchmodernisierten Gesellschaften beobachtete Geburtenrückgang bisher ausgeblieben. Die Folge ist ein Bevölkerungswachstum mit der Folge eines youth bulge[14], einer außerordentlich großen Anzahl junger Menschen – die UNO spricht von 1,8 Milliarden –, für die es keine angemessene Beschäftigung gibt.

(4) Modernisierung ist ein globaler Prozess. … Das ist in erster Linie die Folge einer Diffusion moderner Ideen und Techniken von Mitteleuropa aus, beruht aber zum Teil auch auf endogenen Entwicklungen nicht-westlicher Gesellschaften. Alle Gesellschaften sind irgendwann einmal traditional gewesen. Heute sind alle Gesellschaften entweder modern oder auf dem Weg in die Moderne.

Die Globalität des Modernisierungsprozesses lässt sich nicht mehr in Abrede stellen. Offen bleibt, ob die Globalisierung eine Konsequenz der Moderne bildet – so etwa Anthony Giddens, The Consequences of Modernity, 1990 – oder ob umgekehrt die Globalisierung selbst als Antrieb fortschreitender Modernisierung wirkt – in diesem Sinne etwa Niklas Luhmann und John Meyer. Alle Gesellschaften, die dort noch nicht angekommen sind, befinden sich auf dem Weg in die Moderne. Die Globalisierung macht regionale und vor allem nationale Unterschiede des Entwicklungsstandes manifest und damit die nachholende Modernisierung zur Aufgabe. Zwar liefert die Globalisierung selbst auch Instrumente zu ihrer Unterwanderung, indem sie das globale Konzept der Menschenrechte zur Absicherung regionaler Besonderheiten anbietet. Aber die Menschenrechte enthalten zuallererst das Versprechen, dass sich jeder aus seinen traditionellen Bindungen befreien darf.

(5) Modernisierung ist ein langwieriger Prozess. Während die Modernisierung, was Art und Umfang der gesellschaftlichen Veränderungen betrifft, revolutionäres Ausmaß hat, ist die Modernisierung in ihrem zeitlichen Verlauf ein evolutionärer Prozess. Die westlichen Gesellschaften brauchten Jahrhunderte um sich zu modernisieren. Heute geht es schneller. Aber die Zeit für den Wandel von der traditionellen zur modernen Gesellschaft wird immer noch in Generationen gemessen.

Modernisierung verlangt einen Persönlichkeitswandel, der allenfalls im Generationenrhythmus erreichbar ist. Modernisierung wird aber auch dadurch zum Dauerprozess, dass ungewünschte Nebenfolgen auftreten, die repariert werden müssen. Die drei wichtigsten sind der Verlust der sozialen Sicherung durch die Familie, der durch ein öffentliches Sozialsystem ausgeglichen werden muss, die Entstehung neuer Ungleichheiten und die Umweltzerstörung. Die Lösung ist bekanntlich nicht die Rückkehr in ein einfaches Leben, sondern raffiniertere Technik, Zunahme der bürokratischen Regulierung und weiteres Wirtschaftswachstum.

(6) Modernisierung vollzieht sich in Phasen. Alle Gesellschaften durchlaufen auf dem Weg zur Moderne unterscheidbare Stadien. … Das hat zur Folge, dass sich Gesellschaften danach vergleichen lassen, wie weit sie auf dem Wege der Modernisierung gekommen sind.

Die Identifizierung von Phasen[15] ist heute nicht mehr wichtig, weil für das globale Monitoring Indikatoren entwickelt worden sind, die eine gleitende vergleichende Messung des Modernisierungsgrades gestatten. Wichtig bleibt aber, dass sich nach der klassischen Modernisierungstheorie keine Gesellschaft den Modernisierungsprozess entziehen kann. Allerdings müssen die Nachzügler nicht alle Phasen der Modernisierung ausführlich durchlaufen. In der Startphase werden Forschung und Entwicklung durch Nachahmung ersetzt. Technische Entwicklungen wie Flugzeug, Mobiltelefon und Satellitenkommunikation ersparen zum Teil den langwierigen Aufbau einer Infrastruktur. So haben die Tigerstaaten die Entwicklung von der Exportorientierung zum Massenkonsum im Eiltempo durchlaufen, und andere wie Vietnam, Malaysia und Indonesien machen es ihnen nach.

Von den Phasen der Modernisierung, die eine bestimmte Gesellschaft durchläuft, sind die Phasen des Modernisierungsprozesses als Ganzem zu unterscheiden. Volker H. Schmidt hat drei solcher Phasen ausgemacht. In der ersten lag der Schwerpunkt der Modernisierung in Europa, und hier am Ende in England. In der zweiten Phase verlagerte er sich in die USA. Noch immer sprechend Kritiker der Modernisierungstheorie von einem westlichen Modell. Sie haben – so Schmidt – noch nicht wahrgenommen, dass sich der Schwerpunkt der Entwicklung nach Asien verlagert hat.

(7) Modernisierung ist ein Konvergenzprozess. Die traditionalen Gesellschaften sind so verschieden, dass manche sagen, sie hätten nicht mehr gemeinsam als dass sie nicht modern seien. Moderne Gesellschaften dagegen sind sich in vielerlei Hinsicht ähnlich. Modernisierung führt tendenziell zu Konvergenz.

Die Konvergenzthese stützte sich zunächst auf einen ökonomischen Determinismus. Sie ging von der Annahme aus, dass Gesellschaften mit dem Übergang von der agrarischen zur industriellen Produktionsweise zunehmend komplexer werden, vergleichbaren Problemen gegenüberstehen und sich schließlich angleichen, indem sie für die auftauchenden Probleme ähnliche Lösungen wählen. Die Konvergenzthese ist das Kernstück der Modernisierungstheorie, und sie ist besonders kontrovers. Deshalb wird ihr anschließend ein besonderer Abschnitt gewidmet.

(8) Modernisierung ist ein unumkehrbarer Prozess. Es mag vorübergehend Unterbrechungen und gelegentlich partielle Rückfälle geben. Aber als säkularer Trend ist die Modernisierung nicht aufzuhalten. … Das Tempo der Modernisierung ist von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich. Aber die Richtung des Wandels ändert sich grundsätzlich nicht.

Als Rückschritte auf dem Wege der Modernisierung gelten etwa das Pol Pot-Regime in Kambodscha oder Khomeinis Revolution im Iran. Die Nazidiktatur war sicher eine schlimme Rückentwicklung des politischen Systems, aber nach den Huntington-Kriterien war das System immer noch »modern«. Die Modernisierungstheorie kommt mit dem heimlichen Versprechen, dass solche »Rückfälle« nur temporär seien.

(9) Modernisierung ist Fortschritt. … Auf lange Sicht ist Modernisierung nicht nur unvermeidlich, sondern auch wünschenswert. Kosten und Leiden, besonders in der Anfangsphase, sind hoch. Aber ihre sozialen, politischen und wirtschaftlichen Errungenschaften sind es wert. Auf längere Sicht fördert die Modernisierung die Wohlfahrt kulturell wie materiell.

Die Fortschrittsthese, die eine Leistungssteigerung aller Systeme postuliert, an der prinzipiell alle teilhaben sollen, wird entgegengehalten, sie blende die enormen Leiden und Kosten der Modernisierung ebenso aus wie den Umstand, dass der Fortschritt nicht alle erreicht. Im Zusammenhang des Konvergenzthemas ist jedoch eine andere Kritik wichtiger, die Kritik nämlich, hinter der Fortschrittsannahme stecke ein missionarischer Universalismus des Westens. Friedrich Tenbruck spricht von der Vision der »säkularen Ökumene«. Das Konzept der Entwicklungshilfe habe daher, wie alle Fortschrittskonzepte, ein innerweltliches Ziel der Geschichte vor Augen, und münde damit in die Vision einer geschichtslosen Zukunft ein.[16] Tatsächlich wollte Francis Fukuyama 1989 das Ende der Geschichte vorhersagen, denn die Evolution der politischen Ideologien habe mit der weltweiten Ausbreitung der liberalen Demokratie westlichen Musters ihr Endstadium erreicht.[17] Konvergenz bedeutet aber nicht das Verschwinden von Konflikten und damit das Ende der Geschichte, denn Modernisierung ist ein Prozess, der vielleicht alte Probleme überwindet, aber dafür neue aufwirft und damit auch neue Konfliktfronten aufreißt. Anhänger der Modernisierungstheorie führen die Konflikthaftigkeit des Prozesses nicht in erster Linie auf religiöse und kulturelle Differenzen zurück, sondern auf die Ungleichheiten, die die Modernisierung durch das unterschiedliche Tempo in den verschiedenen Ländern hat aufbrechen lassen.[18]

Ein Grundproblem der Modernisierungstheorie bleibt ihre relative Allgemeinheit. Wenn immer die Tatsachen nicht recht mit der Theorie übereinstimmen wollen, lässt sich die Theorie leicht verändern, so dass sie schwerlich widerlegbar ist. Das ist ein Problem vieler Theorien, dem der einzelne Anwender nur durch den Versuch der Aufrichtigkeit und Konsequenz begegnen kann.

IV.  Die klassische Konvergenzthese

1.      »Industrialism and Industrial Man«

Literatur: Clark Kerr u. a., Industrialism and Industrial Man [1960], 2. Aufl. 1973; ders., The Future of Industrial Societies. Convergence or Continuing Diversity?, 1983.

Als das Schlüsselwerk der Konvergenztheorie galt lange »Industrialism and Industrial Man« von Kerr u. a. (1962). Die Kernthese des Buches lautete, dass eine den Industrialisierungsprozessen innewohnende Logik als Antriebskraft einer weltweiten Konvergenz wirkt, die im Ergebnis zu einer einzigen modernen Gesellschaft führt. Die Industrialisierung wurde als großer Motor verstanden, der die Welt in Richtung auf Urbanisierung und Bürokratisierung, zur Kernfamilie und, auf kultureller Ebene, in Richtung auf Säkularisierung, Pluralismus und Rationalisierung bewegt. Als Endprodukt erwartete Kerr den industrial man, von dem er sagte, er sei »seldom faced with real, ideological alternatives within his society« (S. 283).

Heute würde Kerr vielleicht eine Fortsetzung schreiben mit dem Titel »Digitalization and Communication Man«. Die »alte« Konvergenztheorie sah in der Industrialisierung die treibende Kraft hinter der Angleichung unterschiedlicher sozialer Systeme. Sie hatte die dritte industrielle Revolution durch den Einzug der elektronischen Datenverarbeitung noch gar nicht im Blick. Die Datenverarbeitung hat zunächst die industrielle Produktion selbst noch einmal grundlegend verändert. Weltweit sind qualitativ hochwertige Telekommunikationsnetze und -dienste entstanden (Telefon, Telex, Telefax, E-Mail, Videokonferenzen, Datenbanken, Electronic Banking, Internet mit dem World Wide Web). Kommunikationstechnologie ist genuin global, weil sie die Möglichkeit bietet, Informationen kostengünstig und verlustfrei um die Welt zu transportieren.

Die neuen Kommunikationstechniken haben die Internationalisierung der Produktion und die globale Verteilung von Gütern erleichtert. Informationen sind selbst zum überragend wichtigen Wirtschaftsgut geworden. 1962 beschrieb der Ökonom Fritz Machlup den Wandel zur Informationsgesellschaft, in der schon damals 30 % aller Wirtschaftstätigkeiten Informationen zum Gegenstand hatten. Heute dürften es weit mehr als 50 % sein. Die Informationstechnik hat auch Wirtschafts- und Staatsbürokratie grundlegend verändert. Und schließlich hat sie der Weltgesellschaft mit dem World Wide Web eine gemeinsame Wissensbasis geliefert. Durch den Wandel zur Informationsgesellschaft hat die Modernisierungstheorie und mit ihr die Konvergenzthese einen neuen Schub bekommen.

Der damit verbundene Konvergenzprozess sei durch eine inzwischen historische Erinnerung angedeutet. Die Entwicklung im Telekommunikationssektor führte zunächst über internationale technische Normen und Standards zu einer Angleichung oder Vereinheitlichung nationaler kommunikationstechnologischer Kapazitäten. Ohne diese Standardisierungsprozesse wären die Einrichtung weltweiter Netze und der weltweite Gebrauch vieler technischer Produkte kaum möglich gewesen. Dies hat zu einer Institutionalisierung internationaler Normungsaktivitäten unter Federführung der wichtigsten Industriestaaten geführt. Parallel zur Schaffung und Ausweitung internationaler Organisationen mit unmittelbar rechtspolitisch und rechtlich relevanten Handlungsoptionen (EU, UNO) haben sich – teils innerhalb, teils außerhalb solcher Organisationen – internationale Organisationen für technische Standardisierungsprozesse etabliert (z.B. CCITT, CEPT, ISO, EC2) , deren Ziel die Ausarbeitung technischer Normen bildet. Die Normierung spielt sich keineswegs immer friedlich ab, sondern nicht selten als Machtkampf der Global Player, die jeweils ihren eigenen Standard durchsetzen wollen, um dann die Konkurrenz aus dem Felde zu schlagen.

Standards oder Normen, wenn sie sich nicht als sog. Industriestandards durchsetzen wie der IBM kompatible PC und das zugehörige Betriebssystem MS DOS und später Windows, haben die Form von Empfehlungen oder vertraglichen Vereinbarungen zwischen den beteiligten Partnern. Werden solche Standards weltweit akzeptiert, so ergeben sich daraus international einheitliche Verhaltensmuster, die vom wissenschaftlich-rationalen technischen Handlungskalkül des westlichen Industriesystems geprägt sind. Der Umgang mit solchen Technologien setzt ein bestimmtes Ausbildungs- und Qualifikationsniveau voraus, das bei seiner Aneignung wiederum eine Annäherung an westliche Verhaltensmuster fördert. Die dadurch ermöglichte weltweite Verfügbarkeit und der Austausch von Informationen im Rahmen interaktiver Individualkommunikation bewirken eine transnationale Diffusion der Denk-, Bewertungs- und Verhaltensmuster westlicher Eliten und Professionals.

Die Expansion der Kommunikationstechnologie hat ihre Spuren im Recht der entwickelten Länder hinterlassen, und sie entfaltet eine wachsende Bedeutung auch für Leben und Arbeit in den weniger entwickelten Ländern der Welt. Nirgends ist die Mobilkommunikation in den letzten Jahren so rasant gewachsen wie in Afrika. Neue Formen der Produktion, der Arbeit und der Verteilung erzeugen neue Konzepte im Arbeitsrecht, für Datenschutz und Verbraucherrecht. Mit der Arbeit ändern sich Krankenversicherung, Arbeitsunfähigkeits- und Alterssicherungen, und mit ihnen das zugehörige Recht. Lokale und nationale Regulierungen privater Transaktionen müssen der neuen Welt internationaler Transaktionen angepasst werden.

Kommunikationstechnologie macht es unmöglich, die Märkte für geistiges Eigentum innerhalb nationaler Grenzen abzuschotten. Urheberrechtlich geschützte Werke wie Computerprogramme, Musik und Literatur oder Geschäftsgeheimnisse können legal oder illegal mit der gleichen Leichtigkeit über nationale Grenzen hinweg übertragen werden. Bislang wies die Behandlung geistigen Eigentums dramatische Differenzen zwischen den Ländern auf. Das scheint sich unter dem Einfluss der Globalisierung zu ändern.

2.      Konvergenz von sozialistischen und kapitalistischen Systemen

Literatur: Christian Boulanger (Hg.), Recht in der Transformation. Rechts- und Verfassungswandel in Mittel- und Osteuropa 2002; Raj Kollmorgen u. a. (Hg.), Handbuch Transformationsforschung, 2015; Marina Kurkchiyan, The Impact of the Transition on the Role of Law in Russia. in: Fred Bruinsma/David Nelken (Hg.), Explorations in Legal Cultures (Themenband der Zeitschrift Recht der Werkelijkheid), 2007, 75–93; dies., The Illegitimacy of Law in Post-Soviet Societies, in: Galligan/Kurkchiyan (Hg.), Law and Informal Practices, 2003, 25–46; Wolfgang Merkel, Systemtransformation, 2. Aufl. 2010.

Die Konvergenztheorie erhielt in den 1960er und frühen 1970er Jahren Auftrieb, als der Kalte Krieg seinen Höhepunkt erreichte und erste Gedanken an eine Entspannungspolitik aufkamen. Die Annäherung der beiden Großmächte wurde als Folge der Konvergenz der sozialistischen und der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung gedeutet. In Richtung auf eine Konvergenz, so wurde argumentiert, führten in den kapitalistischen Systemen deren sozialpolitisches Engagement mit der Folge einer Entwicklung zum Wohlfahrtsstaat, staatliche Wirtschaftsförderung und -planung sowie eine fortschreitende Technokratisierung der wirtschaftlichen und politischen Entscheidungsprozesse. Bei den sozialistischen Systemen sah man Dezentralisierungstendenzen, marktwirtschaftliche Experimente, die Übernahme westlicher Konsummuster, den Übergang zu einem intensiveren Wirtschaftswachstum, ein Mehr an pluralistischer Willensbildung und die Übernahme westlicher Planungs- und Kommunikationsmethoden für die Wirtschaft. Man nahm ferner an, dass die Gefährdung der Zivilisation durch Atomwaffen, Umweltbelastung, Bevölkerungsdruck und materielle Unterversorgung in die gleiche Richtung wirkten. So stellte man sich vor, dass letztlich technologisch-organisatorische Abläufe und sozialökonomischer Modernisierungsdruck zu einer Angleichung der Funktionen und Ziele in den weltanschaulich unterschiedlich fundierten Industriegesellschaften führten. Gegen diese Sichtweise wurde geltend gemacht, sie überzeichne die Strukturveränderungen und unterschätze die politischen Faktoren im Ost-West-Verhältnis. Von marxistischer Seite hielt man dagegen, die funktionalistische Sichtweise leugne den Klassencharakter beider Systeme und damit die Gesetzmäßigkeit des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus.[19] Aber diese Kritik ersetzte doch nur eine Konvergenzhypothese durch eine andere.

Im Einzelnen differierten die verschiedenen Autoren in ihrer Einschätzung von Ausmaß, Richtung und primärer Ursache von Konvergenz erheblich. Vier Spielarten lassen sich unterscheiden: Am weitesten gingen diejenigen, die für alle Bereiche der Gesellschaft eine Tendenz zur Konvergenz annahmen.[20] Andere meinten, dass Sozialismus und Kapitalismus als Spielarten der Industriegesellschaft miteinander verschmelzen würden.[21] Windhoff sah die Konvergenz auf den wirtschaftlichen Sektor beschränkt.[22] Last not least wurde aber auch die Annahme vertreten, dass eine einseitige Anpassung an die soziale Marktwirtschaft zu erwarten sei.[23]

Diese Diskussion wurde durch Glasnost und Perestroika und die anschließende Entwicklung in den Ländern Osteuropas auf dramatische Weise überholt. Dadurch hat sich die Richtung der Fragen geändert. Das Problem ist nicht länger die Suche nach einer Konvergenz der sozialen Systeme, sondern umgekehrt die Frage, wie viel Pluralismus in Kultur und Recht am Ende bestehen bleiben können.

3.      Konvergenz als »Ende der Geschichte«

Den wackeligen Gipfel der Konvergenztheorie bildet die These vom Ende der Geschichte.

Schon 1974 hatte Arnold Gehlen in einem Aufsatz über das »Ende der Geschichte« geschrieben: »Der alte, überspannte, großherzige Utopismus mit seiner Opferbereitschaft für nichtprofitable Zwecke verschwindet«. Damit schicke sich die Großgeschichte an abzuziehen. Der Mensch werde sich damit abfinden, dass er seine Grundsituation festgelegt vorfinde. Diese Beschränkung werde ihm durch die »Gratifikation des Dogmatismus« entgolten, die er genießen könne, wenn die meisten Probleme vorentschieden und die Handlungsziele definiert seien. Doch nach dem Ende der Geschichte und des Fortschritts gelte es, »die Wirklichkeit der offensichtlich empörenden Not anzugreifen – das wäre Fortschritt«.

1989 erregte Francis Fukuyama, ein Beamter im amerikanischen Außenministerium, großes Aufsehen mit der These, die Geschichte nähere sich ihrem Ende, wir seien Zeugen nicht bloß der Reformpolitik eines Michail Gorbatschow, des Endes des Kalten Krieges oder einer besonderen Epoche der Nachkriegsgeschichte, wir erlebten vielmehr das Ende der Geschichte schlechthin, denn die Evolution der politischen Ideologien habe mit weltweiter Ausbreitung der liberalen Demokratie westlichen Musters ihr Endstadium erreicht. Dagegen stand und steht die Auffassung, dass sich insbesondere die Staaten Ostasiens aufgrund ihrer einzigartigen kulturellen Traditionen für eine Demokratie westlichen Musters auf Dauer als unzugänglich erweisen würden. Auch wenn diese Staaten sich die technischen und wirtschaftlichen Errungenschaften des Westens zum Vorbild genommen und zu ihrer Durchsetzung viele der institutionellen Arrangements kopiert hätten, so füllten sie diese Institutionen doch mit anderem Inhalt. An die Stelle der liberalen Demokratie des Westens trete eine »asiatische Demokratie«, als deren Kennzeichen der Vorrang personenbezogener Loyalitäten vor Institutionen und Gesetzen, der Respekt vor Autorität und Hierarchien, von einer übermächtigen, konservativen Partei dominierte Parteiensysteme und ein starker, in wirtschaftliche und gesellschaftliche Abläufe intervenierende Staat genannt werden.[24] Andere halten jedoch die Berufung auf »asiatische Werte« für einen »Versuch des konservativen und autoritären politischen Establishments …, durch einen konservativen Wertediskurs die Kontrolle über Gesellschaft und Politik zurück zu gewinnen«[25]. Ähnliche Argumente liegen für die Ausbreitung der Demokratie in der Islamischen Welt nahe. Über 20 Jahre nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Ostblocks, nach dem islamischen Aufbruch und Arabellion ergibt sich immer noch kein einheitliches Bild. Die Globalisierung der Demokratie bleibt ein großes Thema, das besondere Behandlung verdient (u. § 100 I).

Aus der Sicht der Modernisierungstheorie bedeutet Konvergenz nicht das Verschwinden von Konflikten und damit das Ende der Geschichte, denn Modernisierung ist ein Prozess, der vielleicht alte Probleme überwindet, aber dafür neue aufwirft und damit auch neue Konfliktfronten aufreißt. Die Geschichte ist noch immer für Überraschungen gut. Wirtschaftskrisen, Terrorismus und technischer Wandel, Klimaveränderungen und Kriege bringen den geordneten Verlauf der Dinge immer wieder durcheinander.

Nichtsdestoweniger ist die Geschichte in einem anderen Sinn zu einem Ende gekommen. Bis in das 20 Jahrhundert konnten wir erwarten, tatsächlich noch etwas Neues zu entdecken, eine neue Kultur, eine neue Gesellschaft oder gar eine neue, bislang unbekannte Rechtskultur. Globalisierung heißt insofern, dass nichts mehr zu entdecken bleibt. Auf der Karte der Gesellschaften finden sich keine weißen Flecken mehr. Der Globus ist zur geschlossenen Gesellschaft geworden. Allenfalls könnten wir unsere Phantasie anspannen, um uns außerirdische Gesellschaften vorzustellen, aber nur in der Rolle eines Filmproduzenten oder -betrachters, nicht als Rechtssoziologen. Die Weltgesellschaft ist die einzige Gesellschaft ohne soziale Umwelt. Das hat Folgen, die auf den ersten Blick widersprüchlich wirken. Auf der einen Seite beginnen Konzepte mit universellem Anspruch wie die Idee der rule of law oder der Menschenrechte die globale Gesellschaft zu uniformieren. Auf der anderen Seite provoziert die Abwesenheit einer äußeren Umwelt die Weltgesellschaft, durch Differenzierung in neue Subsysteme ihre eigene, innere Umwelt hervorzubringen, als Ersatz oder neben der existierenden Substruktur aus Nationen.

1. Konvergenz kultureller Einstellungen: Inglehart und der World Value Survey

Literatur: Ronald Inglehart/Christian Welzel, Modernization, Cultural Change and Democracy, New York: Cambridg University Press, 2005; dies., Changing Mass Priorities: The Link Between Modernization and Democracy, Perspectives on Politics 8, 2010, 554-567; Pippa Norris/Ronald Inglehart, Cosmopolitan Communications, Cultural Diversity in a Globalized World, Cambridge; Caroline Y. Robertson/Carsten Winter (Hg.), Kulturwandel und Globalisierung, 2000; Bernd Wagner, Globalisierung und kulturelle Differenz, Aus Politik und Zeitgeschichte 2002 Heft 12; UNESCO World Report, Investing in Cultural Diversity and Dialogue, 2009 [2000].

Ronald Inglehart hat mit dem World Value Survey ein Instrument zur global vergleichenden Messung kultureller Einstellungen entwickelt, das davon ausgeht, dass der Prozess der sozialen und ökonomischen Entwicklung, die als Modernisierung geläufig ist, zu einer kulturellen Konvergenz führt. Dazu ordnet er alle Länder in einer Vierfeldertafel, die auf der Hochachse unten traditionelle Werte und oben säkular-rationale Werte anzeigt, während auf der horizontalen Achse links Überlebenswerte (survival values) und rechts Selbstenfaltungsungswerte (self-expression-values) notiert werden. Die Hochachse markiert den Übergang von der traditionellen zur modernen Gesellschaft, die Längsachse soll dem Übergang von der Industriegesellschaft zur postmodernen Gesellschaft Rechnung tragen, der durch die Verlagerung des Wertehorizonts von materialistischen zu postmaterialistischen Werten gekennzeichnet sei. Seit 1981 wurden für den World Value Survey bisher fünf Befragungswellen abgeschlossen.

Pippa Norris und Ronald Inglehart sind in ihrem Buch »Cosmopolitan Communications. Cultural Diversity in a Globalized World« (das im Volltext im Internet zur Verfügung steht), der These nachgegangen, dass die Globalisierung der Massenkommunikation letztlich zur kulturellen Konvergenz führen werde. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass noch in vielen Regionen Gesellschaften verbleiben, die nicht über den vollen Zugang zu den Medien verfügen, und dass es auch auf individueller Ebene Barrieren gibt, aus den Medien neue Werte und Verhaltensweisen zu lernen. Die Bedrohung der kulturellen Diversität durch die Massenmedien werde daher oft übertrieben. Aber das würde bedeuten, dass auf lange Sicht eben doch eine weitere Konvergenz zu erwarten wäre.

Aus: Ronald Inglehart/Christian Welzel 2005:554: »Source: Data from World Values Survey. The oval at the lower right shows the mean size of the standard deviation on each of the two dimensions within the 53 societies (the shape is oval because the S.D. on the horizontal axis is larger than on the vertical axis).«

2.      Homogenisierung und Hybridisierung

Literatur: Benjamin Barber, Jihad vs. McWorld. How Globalism and Tribalism are Reshaping The World, 1995; Peter Burke, Cultural Hybridity, 2009; Jan Nederveen Pieterse, Globalization als Hybridization, in: Mike Featherstone u. a. (Hg.), Global Modernities, 1995, 45-68; ders., Der Melange-Effekt. Globalisierung im Plural, in: Ulrich Beck (Hg.), Perspektiven der Weltgesellschaft, 1998, 87-124; ders., Globalization and Culture. Global Mélange, 2. Aufl., 2009; Ulf Hannerz, The World in Creolization, Africa 57, 1987, 546-559; ders., Transnational Connections: Culture, People, Places, 1996; Zdravko Mlinar, Individuation and Globalization: The Transformation of Territorial Social Organization, in: ders. (Hg.), Globalization and Territorial Identities, 1992, 15-34George Ritzer, Die McDonaldisierung der Gesellschaft, 1997 [The McDonaldization of Society, 1993]; Thomas Schwinn, Konvergenz, Divergenz oder Hybridisierung?, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 58, 2006, 201-232; Pnina Werbner/Tariq Modood, Debating Cultural Hybridity, 1997.

Die dritte industrielle Revolution hat nicht lediglich Produktionsmethoden und Arbeitsorganisation noch einmal grundlegend verändert, sondern vor allem das Zeitalter der Massenkommunikation eingeleitet. Verbesserte Kommunikationsmedien nähren einen Prozess der kulturellen Diffusion und Synchronisation. Die Unmenge der grenzüberschreitenden Kommunikationen verändert die Wissensbestände und führt vermutlich auch zu Einstellungsänderungen, die wiederum Konsequenzen für das Verhalten nach sich ziehen. Die Annahme liegt nahe, dass diese Entwicklung letztendlich zu einer einheitlichen Weltkultur führen wird, die nur noch durch regionale Akzente differenziert ist und vielleicht noch auf beiden Ebenen einige sektenhafte Gruppierungen duldet. Diese Annahme findet einen Ausdruck in den viel zitierten Schlagworten »Cocacolization« (Mlinar), »McDonaldisierung« (Ritzer) oder »McWorld« (Barber), die für sich genommen darauf hindeuten, die Vielfalt der Kulturen könne zu einem großen Einheitsbrei mit westlichem Aroma zusammenschmelzen. In der Sammlung fehlt eigentlich nur noch »McLaw«. Aber das hat sicher auch schon jemand gesagt oder gedacht.

George Ritzer hat in seinem Bestseller eine bestimmte Form der Betriebsorganisation, wie sie beispielhaft und erfolgreich von McDonalds vorgemacht wurde, zum Rationalitätsmuster der Globalisierung verallgemeinert. Ritzer analysiert die Komponenten die dazugehörige Strategie als geprägt durch Effizienz, Berechenbarkeit, Vorhersagbarkeit und Kontrolle. Ritzer geht es eigentlich nur um die Ausbreitung der Managementmethoden, auf die der Erfolg der großen Fastfood-Kette zurückgeführt wird. Aber sein Buchtitel ist zur Metapher für eine vielfach beklagte Homogenisierung der Weltkultur geworden, wie sie kein Modernisierungstheoretiker postuliert.

Differenzierter ist die von Pieterse ausgearbeitete Theorie der Globalisierung als eines Hybridisierungsprozesses, der schon im Altertum begonnen hat und der nicht nur die Kultur erfasst, sondern sich auf vielen Ebenen ereignet. Enger auf Sprache und Kultur bezogen ist das Konzept der Kreolisierung von Hannerz. Man weist gerne darauf hin, wie die Wirtschaft an der Verbraucherfront nach dem Motto »think globally – act locally« handelt. In diesem Sinne gehört es zur globalen Strategie der großen Fastfood-Ketten, ihr Angebot und dessen Dekoration an den ortsüblichen Geschmack anzupassen, die damit keines der Attribute der Modernität verlieren (Schwinn S. 210ff). Aber Hybridisierung beschränkt sich nicht darauf, der Moderne zu einem Lokalkolorit zu verhelfen. Ihr Ergebnis ist nicht bloße Homogenisierung, sondern eine »Melange« (Pieterse), die von Ort zu Ort unterschiedlich ausfallen und durchaus Neuigkeitswert haben kann. Weitergehend würde ich sagen, die Modernisierung produziert neue Vielfalt. Allerdings meint Pieterse, dass man aus weltgeschichtlicher Perspektive doch »von einer sich durchsetzenden Ähnlichkeit« sprechen könne: »Die Rückseite der kulturellen Hybridbildung ist die kulturübergreifende Konvergenz.« (Pieterse 1998:113f.). Dass die großen Kulturkreise – und auch die kleinen kulturellen Traditionen – dem Modernisierungsprozess jeweils eine besondere Färbung verleihen, lässt sich zwanglos aus der Pfadabhängigkeit erklären und ändert am Ergebnis wenig. In diesem Sinne tragen das moderne Rechtssystem in Japan, das Common Law und die in Europa wachsende neue Rechtsordnung ihren je eigenen Charakter.

Nicht alle Elemente der Moderne sind gleichermaßen variationsfähig. Die Wissenschaft als Kern der Rationalisierung verträgt nur oberflächliche Variationen. Postmoderne Varianten, die glauben, den rationalen Kern geknackt zu haben, sind damit aus der Wissenschaft in das Feuilleton abgewandert. Der Soziologe Thomas Schwinn meint, dass auch ethisch-normative Werte nicht in gleichem Maße hybridisierbar seien wie die alltagsästhetische Oberflächenkultur. Auch wenn sie sich nicht vernunftmäßig begründen ließen, so sei die Rationalisierungsfähigkeit von Normen doch stärker als bei ästhetischen Urteilen. »Das lässt sich ablesen an der internationalen rechtlichen Kodifizierung von Menschenrechts- und ökologischen Standards, die sich je einer spezifischen Kreolisierung entziehen.« (S. 221) Einem Juristen würde man das so schnell nicht abnehmen. Aber Schwinn kann doch darauf verweisen, dass die Menschenrechte tatsächlich jedenfalls auf der Ebene von Weltgesellschaft und Weltkultur als universelle institutionalisiert sind.

Die Modernisierung lässt reichlich Raum für Vielfalt. Das bedeutet aber nicht, dass alle Vielfalt erhalten bleibt. Man darf sich die Hybridisierung nicht konfliktfrei und vor allem nicht verlustfrei vorstellen (Tenbruck). Es drohen auch Assimilation oder Untergang, etwa für wenig verbreitete Sprachen (und sicher auch für traditionelle Rechte). Aber nur die Modernisierungstheorie mit ihrer Konvergenzthese bietet einen brauchbaren makrosoziologischen Rahmen für die zahllosen Assimilierungs-, Hybridisierungs- und Differenzierungsprozesse.

3.      Konvergenz der Wissenswelten

Hier genügt ein Hinweis auf den im Internet verfügbaren Band von Jürgen Renn (Hg.), The Globalization of Knowledge in History, 2012. Obwohl Rogers, der Klassiker eder Diffusionstheorie (u. X.), darin nur einmal beiläufig erwähnt wird, kann man die 32 Abhandlungen dieses Bandes als Studien über die globale Diffusion von kulturellem, technisch praktischem und auch religiösem Wissen lesen.

4.      Die Hegemonie der englischen Sprache

Literatur: Ulrich Ammon, The Hegemony of English, in: UNESCO/International Social Science Council (Hg.), World Science Report 2010, S. 154f; Hartmut Haberland, Englisch als ›Welt‹-Sprache im Hightech-Kapitalismus, Das Argument 305, 2013, 830-839.

Die Vielfalt der Sprachen war das Resultat der weitgehenden räumlichen Isolation menschlicher Gesellschaften. Globalisierung der Kommunikation durch neue Technologien verlangt nach einer globalen Sprache. Als solche hat sich das Englische durchgesetzt. Durch den britischen Kolonialismus erhielt das Englische einen Startvorteil. Amerikanische Wirtschaftsmacht, zwei Weltkriege, in denen England und die USA dominierten, und schließlich der Zusammenbruch des Ostblocks haben die Expansion der englischen Sprache beschleunigt. Das Englische ist zur Sprache der internationalen Wirtschaft, der Wissenschaft, der Computerwelt, des Luftverkehrs und der Unterhaltungsindustrie geworden. Nicht zuletzt ist es auch die Sprache des internationalen Rechts. Es ist die Sprache der Globalisierung schlechthin.

Das mittelalterliche Latein als die lingua franca seiner Zeit war insofern egalitär, als jeder es erst lernen musste. Englisch ist dagegen die Muttersprache nicht nur der Engländer und Amerikaner, sondern auch der meisten Australier und Neuseeländer, vieler Kanadier, Inder und anderer mehr. Sie haben damit einen Heimvorteil, der kaum aufzuholen ist. Im Übrigen gilt das Prinzip der Vorteilsakkumulation (accumulated advantage).[26] Am Beispiel der Sozialwissenschaften: 94 % aller im Thomson Social Science Citation Index registrierten Artikel und 85 % der begutachteten sozialwissenschaftlichen Zeitschriften erscheinen in englischer Sprache, ebenso über 75 % der Publikationen, die in der International Bibliography of the Social Sciences verzeichnet sind.[27] Der Informationsfluss der Wissensgesellschaft ist auf Englisch getrimmt. Ulrich Ammon spricht daher von der Hegemonie des Englischen. Das bedeutet auch, wer in den Schwellen- und Entwicklungsländern Sozialwissenschaften betreibt, ist weitgehend darauf angewiesen, für den Stand der Forschung »westliche«, vor allem amerikanische und europäische Literatur in englischer Sprache zu zitieren.

Der einzelne Sprecher ist in der Lage, zwei oder gar drei Sprachen zu beherrschen. Deshalb haben in der Alltagswelt andere Sprachen eine gute Chance zu überleben, wenn die Sprachgemeinschaft im Weltmaßstab nicht zu klein ist. Nicht nur das, Sprachräume werden Kulturräume bleiben. Englisch ist auch die Sprache des internationalen Rechts. Aber die nationalen Rechtssysteme, auch insoweit, als sie inhaltlich konvergieren, bleiben weiter ihren Nationalsprachen verhaftet.

5.      Konvergenz der Ethnien und Rassen

Literatur: Peggy Pascoe, What Comes Naturally, Miscegenation Law and the Making of Race in America, Oxford 2009.

Über Rassen redet man in Deutschland nicht mehr gerne. Aber es ist unübersehbar, dass es unterschiedliche Rassen gibt, und die Diskriminierung wegen der Zugehörigkeit zu einer Rasse ist ein großes Thema des Rechts und der Rechtssoziologie.

Es ist nur daran zu erinnern, dass es in historischer Zeit Rechtsnormen gab, die eine Heirat oder auch nur den Geschlechtsverkehr zwischen Menschen unterschiedlicher Rassen untersagten. Das Verbot »rassischer Mischehen« durch die Nürnberger Gesetze von 1935 wird man nicht vergessen. In den Südstaaten der USA wurden Gesetze, die eine Verbindung zwischen Schwarz und Weiß verboten, erst 1967 endgültig aufgehoben. 2010 erhielt die Rechtshistorikerin Peggy Pascoe von der Law and Society Association den James Willard Hurst Prize in Legal History für ihr Buch »What Comes Naturally: Miscegenation Law and the Making of Race in America«, in dem sie 300 Rechtsgeschichte daraufhin durchmustert, wie das Recht die Vorstellungen der Menschen darüber beeinflusst hat, was »natürlich« ist.

Die Konvergenz des Rechts in Richtung auf den Abbau rassendiskriminierender Regeln schreitet voran. Es braucht keine Wissenschaft für die Vermutung, dass sich im Zuge der Globalisierung Ethnien und Rassen auch biologisch vermischen. Wieweit dieser Prozess schon vorangeschritten ist und wie weit er am Ende reichen wird, kann hier nicht erörtert werden. Als Beispiel sehe man sich die Zusammensetzung der Bevölkerung von Belize (des früheren britisch-Honduras) an. Von den 313.000 Einwohnern (2010) sind fast die Hälfte Mestizen und über 25 % Kreolen. Auch die 9 % Garifuna sind aus der Verschmelzung verschiedener Rassen entstanden.

Es fehlt handfeste Forschung zu der Frage, ob und wieweit die Globalisierung zu einer Konvergenz von Rassen und Ethnien führt. Die Fragestellung ist tabuisiert, weil mit ihr der Begriff des Schmelztiegels und damit Harmonievorstellungen assoziiert werden, von denen man befürchtet, dass sie soziale und kulturelle Heterogenität und damit verbundene Diskriminierungen auf eine biologische Ebene verdrängt.

6. Konvergenz als globale Regionalisierung

Literatur: Peter Beyer, Religion and Globalization, London, 1994; Jonathan Friedman, Being in the World: Globalization and Localization, in: Mike Featherstone (Hg.) Global Culture, 1990, 311-328; Roland Robertson, Glocalization: Time-Space and Homogeneity-Heterogeneity in: Mike Featherstone/Scott Lash/Roland Robertson (Hg.), Global Modernities, London 1995, 25-44.

Interessant wird in unserem Zusammenhang ein zweiter Gedanke Gehlens: An die Stelle der Großgeschichte treten alte Lokalgegnerschaften, die auf einem niedrigeren Niveau eine neue Dramatik gewinnen. Dieser Gedanke lässt sich als Hinweis auf einen neuen Pluralismus der Kulturen und damit auch des Rechts verstehen, mit dem eine Regionalisierung und oder Ethnisierung von Konflikten einhergeht. »Lebanization« ist nur ein Stichwort, der Krieg im ehemaligen Jugoslawien das augenfälligste Beispiel. Transnationale Integration und nationale Desintegration sind simultane globale Prozesse.

»Ethnic and cultural fragmentation and modernist homogenization are not two arguments, two opposing views of what is happening in the world today, but two constitutive trends of global reality.« (Friedman S. 311)

Parallel zu den gesellschaftlichen Globalisierungstendenzen zeigen sich sowohl in den hochindustrialisierten als auch in den Schwellen- und Entwicklungsländern Tendenzen einer Regionalisierung gesellschaftlicher Interessenlagen und Konflikte aufgrund sozialräumlicher Disparitäten, ungleicher Risikoverteilungen, kultureller oder religiöser Sonderentwicklungen usw., sei es dass solche Tendenzen neu entstehen oder sich (wieder) verstärken.

Die Fragmentierung bleibt nicht regional, sie zieht sich oft quer durch die Bevölkerung. Sie hat ihre Wurzeln nicht nur in Stammestum oder ethnischen Differenzen, sondern auch in unterschiedlichen Auffassungen von sozialer oder politischer Organisation. Beispiele hierfür auf europäischer Ebene sind das Baskenland, Flandern, Sizilien, die Bretagne; in der alten Bundesrepublik existierte ein ausgeprägtes Süd-Nord-Gefälle in der wirtschaftlichen Entwicklung mit den damit verbundenen Benachteiligungen mittel- und norddeutscher Wirtschaftszentren. Im neuen Deutschland wird das Süd-Nord-Gefälle durch eines von West nach Ost überlagert. Auslöser für soziale Konflikte auf regionaler Ebene ist oft der Abzug bisheriger autonomer Funktionen, auf der lokalen Ebene dabei vor allem die Einrichtung »sperriger Infrastruktur« (Flughafenbau, Atomkraftwerke, Stuttgart 21)

In der Regionalismus-Debatte der Politikwissenschaften sind die hier angesprochenen Aspekte schon länger Gegenstand eines eigenen Forschungsfeldes mit den thematischen Schwerpunkten »Kampf unterdrückter Minderheiten«, »regionale Protestbewegungen«, »sozialräumliche Ungleichheiten und interner Kolonialismus«, »lokale Identität und Integration«. Unter der Überschrift »Europa der Regionen« kommt dem Regionalismus im europäischen Kontext auch eine politisch-institutionelle Bedeutung zu. An der politischen Umsetzung des Regionalismus-Konzepts wird aber auch deutlich, dass Globalisierung auf der einen und Regionalisierung auf der anderen Seite nicht miteinander unvereinbare oder widersprüchliche Entwicklungen sein müssen, sondern möglicherweise sogar miteinander verschränkte oder sich ergänzende Prozesse sind, auf jeden Fall aber Entwicklungen, deren Parallelität gerade typisch ist für die gegenwärtige Phase der sozioökonomischen und kulturellen Entwicklung nicht nur in der Dritten Welt, sondern auch in den entwickelten Industrienationen. In diesen Zusammenhang stellen sich dann Fragen der Rechtssteuerung von Integrationsproblemen bei regionalen Sonderentwicklungen, Fragen des Abbaus von sozialräumlichen Disparitäten im Sinne einer rechtspolitisch gesteuerten Entwicklung oder Fragen des Konfliktmanagements bei lokal begrenzten gesellschaftlichen Konfliktpotentialen.

Dezentralisierung war ein weltweiter Trend der letzten Jahrzehnte. Die nach 1989 einsetzende (dritte) Demokratisierungswelle löste einen Schub zur Dezentralisierung aus. Einheitsstaaten wie Spanien erhielten eine föderale Struktur. In Bundesstaaten wie Russland und Mexiko verschob sich die Macht – in deutschen Begriffen gesprochen – vom Bund auf die Länder. Föderationen wie die Tschechoslowakei, Jugoslawien und die Sowjetunion lösten sich auf. In einigen Staaten kam es zu einer extremen Dezentralisierung: Der Zentralstaat zerfiel in Regionen, in denen nunmehr Warlords das Sagen hatten.

Die Dezentralisierung wurde aber auch von der neoliberalen Wirtschaftspolitik angetrieben, die ja im Prinzip einen Wechsel von der Makrosteuerung zur Mikrosteuerung bedeutet. Man spricht von einer »devolution revolution«, nämlich der Übertragung von Kompetenzen und Ressourcen von Zentralregierungen auf lokale Instanzen. Die Weltbank und andere Entwicklungshilfeorganisationen verschrieben sich einer Politik des Finanzföderalismus und förderten auch in Entwicklungsländern eine Dezentralisierung politischer Entscheidungen und staatlicher Dienstleistungsangebote. Es wird beklagt, dass diese Reformen in Verbindung mit Marktöffnung und Deregulierung die Fähigkeiten der Staaten zu einer koordinierten Wirtschaftspolitik geschwächt hätten.

7. Weltkultur

Literatur: John W. Meyer u. a., Weltkultur. Wie die westlichen Prinzipien die Welt durchdringen, 2005 (Übersetzung von acht Aufsätzen von Meyer und Koautoren, die zwischen 1997 und 2001 veröffentlicht wurden; eine Rezension des Bandes von Michael Hölscher in der Online-Zeitschrift H-Soz-u-Kult 19. 5. 2006); John W. Meyer/John Boli-Bennett/Chase-Dunn Christopher, Convergence and Divergence in Development, Annual Review of Sociology 1, 1975, 223-246; John W. Meyer/Brian Rowan, Institutionalized Organizations: Formal Structure as Myth and Ceremony, American Journal of Sociology 83, 1977, 340-363.

a) Isomorphie der Institutionen

Die Isomorphie der Institutionen ist ein Begriff aus der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie. Heute beobachtet man mehr oder weniger überall auf der Welt eine lange Reihe von rechtlich geprägten Institutionen, die einander mindestens der äußeren Form nach ähnlich sind. Die wichtigste Konvergenz dieser Art ist die Aufteilung der Welt in Nationalstaaten nach dem zweiten Weltkrieg. Fast alle Staaten haben geschriebene Verfassungen[28] angenommen, politische Wahlen eingeführt, Parlamente installiert, die förmliche Gesetze erlassen, und offizielle Gerichte für die Entscheidung von Streitigkeiten eingerichtet. Mehr oder weniger überall gibt es Universitäten mit juristischen Fakultäten, eine Anwaltschaft, Gefängnisse und Polizei.

Diese Gleichförmigkeit hat fraglos etwas mit Modernisierung und Globalisierung zu tun. Für die genauere Bestimmung des Zusammenhangs sind verschiedene Erklärungen geläufig. Die schlichteste läuft auf bloße Nachahmung hinaus. Funktionale Erklärungen verstehen die jeweils gewählten institutionellen Arrangements als Lösung praktischer Probleme. Das ist wohl die heimliche Theorie der Entwicklungshilfe, wenn sie darauf abstellt, dass die rule of law notwendige Bedingung für wirtschaftlichen und humanitären Fortschritt sei. Es lässt sich auch (hoffentlich) nicht ganz ausschließen, dass westliche Ideen von Rechtsstaat und Demokratie, Bildung und Daseinsvorsorge auf Grund ihrer Überzeugungskraft gewirkt haben. In der Rechtssoziologie ist von imposition of law die Rede, wenn machtüberlegene Länder anderen ihr Rechtsmodell aufdrängen. Eine anspruchsvollere Theorie, die alle diese Erklärungen bis zu einem gewissen Grade in sich aufnehmen kann, bietet die Meyer-Schule in Stanford. Sie erklärt die weltweite Gleichförmigkeit der Institutionen nicht primär aus Diffusions-, Planungs- oder Nachahmungsprozessen, sondern aus einer vorgängigen globalen Weltkultur (world polity), welche die institutionelle Umgebung aller Akteure, seien sie Individuen, Organisationen oder Staaten, prägt.

Der Forschergruppe des »Stanford Center for Research in Development in Teaching« um John W. Meyer war aufgefallen, dass Bildungseinrichtungen – gegliederte Schulsysteme, Universitäten, typisierte Abschlüsse usw. – sich jedenfalls äußerlich weltweit ähnlich geworden waren. Auf der Suche nach einer Erklärung stellten sie zunächst fest, dass Organisationen – und zwar nicht nur Schulen und Universitäten – in ihrer konkreten Ausgestaltung den Anforderungen ihrer institutionellen Umgebung folgen, um sich damit Legitimität und Ressourcen zu verschaffen. Die institutionelle Umgebung von Organisationen besteht aus verfestigten Komplexen von Normen, Erwartungen und Leitbildern. Eine Schule, als Organisation betrachtet, entspricht also dem, was man allgemein von einer Schule erwartet und was überwiegend auch in Gesetzen festgeschrieben ist. Das ist an sich beinahe trivial. Neu war aber die These, mit der die Ähnlichkeit von Institutionen über Ländergrenzen hinweg erklärt wurde, die These nämlich, dass die institutionelle Umgebung von Organisationen von einer einheitlichen world polity geprägt werde. Kern dieser Weltkultur ist instrumentelle Rationalität,

»die Strukturierung des täglichen Lebens entlang von standardisierten unpersönlichen Regeln, die die soziale Ordnung auf unpersönliche Zwecke hin ausrichten. Im Zuge von Rationalisierungsprozessen konstituiert sich Autorität ausdrücklich als formale und zunehmend bürokratisierte Rechtsordnung; Tauschprozesse richten sich an Regeln der rationalen Kalkulation und Buchführung sowie an Regeln zur Konstitution von Märkten aus und beinhalten weitergehende Prozesse wie Monetarisierung, Kommerzialisierung und bürokratische Planung.«[29].

Im Ursprung ist die globale Weltkultur aber religiösen, und hier wiederum vornehmlich christlichen Ursprungs. Die institutionellen Regeln, die diese Rationalisierung vorantreiben,

»liegen auf einer sehr allgemeinen (jetzt oft globalen) Ebene …«. Sie leiten sich aus einer »herrschenden universalistischen historischen Kultur« ab. Aus den »transzendenten Gottheiten (Jehova, Gott, Allah)« sind »transzendentale Begriffe« geworden: Gleichheit, Freiheit, Rechte, Fortschritt. Sie gelten in jeder modernen oder sich modernisierenden Gesellschaft mit der Folge, »dass die konkreten institutionellen Ziele und Definitionen in der Praxis fast überall auffallend ähnlich sind« … »Zum Beispiel pflegen Lehrer unterschiedliche Unterrichtsstile, Unternehmen unterschiedliche Managementmethoden und staatliche Regime unterschiedliche ideologische Standpunkte – aber alles innerhalb der konstitutiven Festlegung dessen, was ein Lehrer, ein Wirtschaftsunternehmen oder ein Nationalstaat überhaupt ist.«.

Bezogen auf den Nationalstaat heißt es etwa:

»Nationalstaaten sind das Produkt von außen kommender, universalistischer und rationalisierter kultureller Modelle und werden von diesen als letztlich ähnliche Akteure konstituiert und konstruiert. Dies führt zu einem hohen Grad an Isomorphie und isomorphem Wandel zwischen Nationalstaaten, ebenso wie zu einem hohen Grad von Diffusion zwischen verschiedenen Nationalstaaten einerseits und zwischen den Zentren des globalen Diskurses und einzelnen Nationalstaaten andererseits.« (Meyer 2005, 158f.)

» … daß der Nationalstaat sich der Einbettung in und Konstruktion durch eine externe, mehr oder weniger globale, rationalisierte Kultur verdankt. Unter Kultur ist dabei weniger ein Bündel von Werten und Normen zu verstehen als vielmehr ein Bündel kognitiver Modelle, die definieren, über welche Merkmale, Zwecke, Ressourcen, Technologien, Steuerungsinstrumente und Souveränität ein ordentlicher Nationalstaat zu verfügen hat. In der heutigen, weitgehend staatslosen Weltgesellschaft sind solche externen kulturellen Vorgaben in großem Umfang vorhanden und spielen bei der Konstitution von Nationalstaaten und ihren Aktivitäten eine wichtige Rolle. … Überlegungen wie diese können dazu beitragen, eine ganze Reihe von Merkmalen moderner Nationalstaaten zu erklären: ihre weitgehende Standardisierung überall in der Welt; die Isomorphie ihrer Wandlungsprozesse, sowohl was ihre grundlegenden organisationalen Strukturen als auch, was die von ihnen verfolgten Aktivitäten angeht. Die Entkopplung zwischen offiziellen Strukturen und Programmen einerseits und tatsächlicher Praxis und Realität andererseits – dies vielleicht besonders ausgeprägt in den Peripherien der Weltgesellschaft; und das extrem schnelle Wachstum nationalstaatlicher Strukturen und Politikfelder, sogar in diesen Peripherien.« (2005, 133f.).

Im Detail ist die Herleitung der world polity natürlich viel komplexer. Darauf und damit auch auf Zustimmung oder Ablehnung will ich mich hier nicht einlassen. Unbestreitbar scheint jedenfalls die weltweite Isomorphie der Institutionen zu sein. Gäbe es noch eine unberührte Insel – so Meyer – , dann würden die internationalen Organisationen von den Vereinten Nationen bis Attac, von der Weltbank bis Greenpeace sie schnell in einen Nationalstaat mit Gewaltenteilung, Behörden und Instanzen, Minderheitenschutz, Schulen und Religionsfreiheit verwandeln. Wer Mitglied der UNO werden und an der Entwicklungshilfe der Weltbank und anderer Einrichtungen teilhaben will, kann dies nur als Nationalstaat tun mit einer Regierung an der Spitze, die in ihrer Organisation die westlichen Bürokratiemuster spiegelt. Der Staat muss mindestens pro forma Resolutionen und Leitlinien zu Menschenrechten oder Umweltschutz usw. akzeptieren. Ein Heer von Beratern, »interesselosen« Wissenschaftlern und Experten, IGOs und INGOs tritt in Aktion und sorgt für die Diffusion westlicher Normen und Institutionen.

b)     Weltweiter Governance Transfer

Literatur: Jörg Flecker/Gerd Schienstock, Globalisierung, Konzernstrukturen und Konvergenz der Arbeitsorganisation, Forschungsbericht 1993; Steffen Ganghof, Konditionale Konvergenz. Ideen, Institutionen und Standortwettbewerbin der Steuerpolitik von EU- und OECD-Ländern, Zeitschrift für Internationale Beziehungen 12, 2005, 7-40; ders., Die Konvergenz von Steuersystemen: Zur Rolle von Modernisierungs-und Globalisierungsprozessen, in: Transfer, Diffusion und Konvergenz von Politiken, 2007, 407-429; Katharina Holzinger u. a. (Hg.), Transfer, Diffusion und Konvergenz von Politiken, PVS Sonderheft 38, 2007; Martin Seeleib-Kaiser, Wohlfahrtssysteme unter Bedingungen der Globalisierung, Zeitschrift für Sozialreform 1999, 45, 3-23; ders., Globalisierung und Sozialpolitik. Ein Vergleich der Diskurse und Wohlfahrtssysteme in Deutschland, Japan und den USA, 2001; Kotaro Oshige, Konvergenz der Interessenvertretungen durch Globalisierung?, Ein Vergleich der Funktionsmechanismen der Arbeitnehmerinteressenvertretungssysteme in Deutschland und Japan am Beispiel der Elektroindustrie, 1999; Ludger Pries, De-Regulierung als Konvergenz der Industriellen Beziehungen im Globalisierungsprozess?, Peripherie 22, 2002, 58-83; Reimut Zohlnhöfer, Globalisierung der Wirtschaft und nationalstaatliche Anpassungsreaktionen. Theoretische Überlegungen, Zeitschrift für Internationale Beziehungen 12, 2005, 41-75.

Die empirisch orientierte Politikwissenschaft behandelt das Thema unter dem Gesichtspunkt des Transfers von Governance Modellen.[30] Ein Beispiel für solchen Transfer wäre der weltweite Siegeszug der Mehrwertsteuer.

Mit dem Transfer von Governance Modellen befasst sich der Sonderforschungsbereich 700 »Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit« an der FU Berlin[31]. In acht Working Papers ist schon im Titel von »Governance Transfer« die Rede. Es geht um den Transfer von Menschenrechten, Demokratie, Rule of Law und Good Governance. Die Autoren legen ein Exportmodell zugrunde, das anscheinend nicht so glatt funktioniert. Im Namen der Exporteure wird beklagt: »The differences we find between the governance transfers of our nine ROs indicate that the process of diffusion we may observe is ›localized‹ (Acharya 2004[32]), meaning that it is driven or at least mitigated by region-specific, domestic factors.« Wenn es dann heißt: »The literature does not provide a theoretical approach that would be capable of explaining our double finding of growing similarities and persisting differences in governance transfer by regional organizations.« (S. 23), möchte man ihnen vorschlagen, bei beim Neoinstitutionalismus, bei der Rechtsanthropologie und vor allem bei der Diffusionsforschung Rat zu holen.

c)    Die Entkoppelung von Recht und Realität

Für die Rechtssoziologie ist ein dritter Argumentationsstrang interessant, der 1977 von Meyer und Rowan eingeführt worden ist. Ihre These war, dass Organisationen aller Art sich nach außen formal und rational geben, dass sie intern aber nicht, wie es das Gebot der Rationalität eigentlich fordert, bürokratisch mit Weisung und Kontrolle arbeiten, sondern sich von der Formalität abkoppeln (decoupling) und mit informellen Vertrauensbeziehungen arbeiten. Isomorphie der Institutionen heißt deshalb nicht, dass die Organisationen überall gleich sind, sondern dass sie äußerlich einem übergeordneten Rationalitätsimperativ entsprechen. Dieses Formalitätsgebot sei der Mythos, der den Organisationen helfe, in ihrer Umgebung zu überleben, indem er ihnen Legitimität verschaffe und zu Ressourcen verhelfe.

Die Differenz zwischen der formalen Struktur von Organisationen und ihrem praktischen Funktionieren ist ein alter Hut der Organisationsforschung. Auch die Idee, dass Organisationen sich unter gleichen Umweltbedingungen einander angleichen, war in der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie nicht neu. Neu war aber die Verortung dieser Umweltbedingungen auf der abgehobenen Ebene der world polity und damit verbunden die Radikalisierung der Differenz zwischen Formalstruktur und Realität von Institutionen: Staaten und Institutionen passen sich äußerlich den globalen »Vorgaben« an, setzen sie aber nur formal oder symbolisch um und füllen sie mit eigenen Inhalten.

Oft besteht nur eine sehr äußerliche Ähnlichkeit der Institutionen, die tatsächlich von Land zu Land und teilweise von Ort zu Ort ganz unterschiedlich funktionieren. Historisch betrachtet sind sich die Länder der Welt ähnlicher geworden, und zwar die Rechtssysteme sogar noch stärker als die Kulturen. Diese Konvergenz bedeutet aber keine Homogenität. Homogenität scheitert an der Differenz zwischen Rechtsanspruch und Rechtswirklichkeit, die überall unterschiedlich ausfällt, und an der kulturellen Färbung, die die Institutionen in ihrer Umgebung jeweils annehmen.

Bis zu einem gewissen Grade ist die globale Isomorphie schöner Schein. Dieses Negativbild ist allerdings stark von Afrika, Mittelamerika und einigen Nachfolgestaaten der UdSSR geprägt. Aber man darf Institutionen, die zunächst nur auf dem Papier stehen, nicht gleich völlig abschreiben. Früher oder später erscheinen NGOs oder (im Ausland ausgebildete) Juristen, die sich auf das Papier berufen. Aber auch die Menschen, die mit Organisationen zu tun haben, deren Realität weit von den formalen Vorgaben abweicht, lernen schnell, sich opportunistisch von Fall zu Fall auf diese Vorgaben zu berufen.

8.  Selbstverstärkung der Modernisierung durch Rechenhaftigkeit und Ranking

Literatur: Kevin E. Davis/Michael B. Kruse, Taking the Measure of Law: The Case of the Doing Business Project; Law & Social Inquiry, 32, 2007, 1095–1119; Kevin E. Davis/Kingsbury Benedict/Sally Engle Merry, Indicators as a Technology of Global Governance, Law and Society Review 46, 2012, 71-104; Klaus F. Röhl, Ressort- und Berichtsforschung als Datenquelle, in: Matthias Mahlmann (Hg.), Gesellschaft und Gerechtigkeit, Festschrift für Hubert Rottleuthner, 2011, 357-393; Peter Thiery/Jenniver Sehring/Wolfgang Muno, Wie misst man Recht?, in: Josef Estermann (Hg.), Interdisziplinäre Rechtsforschung zwischen Rechtswirklichkeit, Rechtsanalyse und Rechtsgestaltung, 2010, 211–230; Uwe Vormbusch, Die Kalkulation der Gesellschaft, in: Andrea Mennicken/Hendrik Vollmer (Hg.), Zahlenwerk, 2007, 43-64. Vgl. auch Rechtssoziologie-online § 37 Die Disziplinierung des modernen Menschen.

Die Modernisierung wird von Rationalität und Effizienzstreben angetrieben. Die von der Wirtschaft ausgehende Effizienzorientierung erreicht heute mehr oder weniger alle Bereiche der Gesellschaft. Viele Ursachen kommen hier zusammen. Eine ist natürlich die Monetarisierung oder Ökonomisierung im engeren Sinne. Für die Wirtschaft bedeutet Rationalität Rechenhaftigkeit, wie sie mit der doppelten Buchführung möglich wurde. Heute ist überall die EDV verfügbar und will mit Zahlen gefüttert werden. Eine weitere Ursache ist die Versozialwissenschaftlichung des Denkens. Für die empirische Sozialforschung gibt es nichts, was nicht messbar wäre. Jeden Tag werden wir mit Zahlen, z. B. in der Form von Prognosen, Preisen, Risikobewertungen, Kostennutzenanalysen, Schulnoten, Bilanzen, Sportergebnissen oder Testnoten konfrontiert. Privates und öffentliches Zusammenleben vollzieht sich in nummerisierten Umwelten. Das organisationale Rechnen jenseits der Wirtschaft hat inzwischen als Soziokalkulation einen Namen.[33] Zahlen und Rechenpraktiken sind allgegenwärtig. Sie versprechen einen rationalen Zugang zum Verständnis der Welt.

Man hat sich daran gewöhnt, dass alles in Zahlen und in Mengenbildern ausgedrückt wird und bemerkt gar nicht, dass die Durchnummerierung der Welt auch veränderte verhaltens- und leistungsbezogene Erwartungen zum Ausdruck bringt. Zahlen fordern zum Vergleich heraus. In Tortengrafiken, Balkendiagrammen oder Kurven drängt sich der Vergleich geradezu auf. Vergleiche führen, ob sie darauf angelegt sind oder nicht, zu einer Bewertung. Und Bewertungen haben Aufforderungscharakter.

Ein Ausfluss der Rechenhaftigkeit ist das Scoring, Ranking oder Benchmarking, das inzwischen auch auf globaler Ebene Einzug gehalten hat. Für die makrosozialen und vor allem für makroökonomische Daten gibt es eine erstaunliche Anzahl offizieller oder semioffizieller Quellen, die meistens in Gestalt jährlicher Reports und Rankings erscheinen. UNO, Weltbank, Internationaler Währungsfonds, die OECD, Stiftungen und NGOs offerieren Statistiken und Berichte, meistens in Gestalt von Ländervergleichen. Insgesamt gibt es wohl über 200 solcher Berichte. Romina Bandura hat eine Aufstellung von 178 Untersuchungen zusammengestellt, die mit Hilfe von zusammengesetzten Indikatoren Ländervergleiche anstellen und mit einem Ranking enden.[34]

Der Human Development Report der UNO bietet für zurzeit 169 Länder der Welt ein Ranking und Rating nach ihrem Entwicklungstand. Fünf internationale Organisationen und eine Schweizer Management-Hochschule veröffentlichen jährlich vergleichende und bilanzierende Untersuchungen mehr oder weniger aller wichtigen Volkswirtschaften auf ihre Standortqualität. Dabei spielen rechtliche Indikatoren eine große Rolle. Mit der Weltbank verbundene Wissenschaftler wollen mit dem Worldwide Governance Indicators (WGI) Project den Zustand von Good Governance überall auf der Welt messen. Ähnliches versucht der Transformationsindex (BTI) der Bertelsmann-Stiftung. Transparency International stellt seit 1995 seinen Corruption Perceptions Index zusammen, der sich 2011 auf 182 Länder erstreckte. Die Freedom in the World Country Ratings von Freedom House teilen die Welt danach ein, wieweit sie demokratisch oder noch autoritär regiert wird. Als Gegenstück gibt es auch einen Failed States Index, der sich damit befasst, ob Territorien über die notwendigen rechtlichen Institutionen verfügen, die für einen stabilen Staat erforderlich sind. Mehr oder weniger alle verwendeten Indikatoren stehen auf der Positivliste der Modernisierungstheorie. Auf den Spitzenplätzen sind überall dieselben 30 bis 50 Länder versammelt, die als modern gelten können. Auf der Mitte der Skala beginnt die Liste der Kandidaten mit Nachholbedarf. Auf den hinteren 50 Plätzen sind in allen Ratings dieselben Länder versammelt, die deutlich unterentwickelt sind.

Die Rankings wirken. Nach und nach entdeckt die Wissenschaft das Antriebspotential des vergleichenden Berichtswesens. Davis, Kingsbury und Merry haben es ausführlich als neue Governancetechnik analysiert. Darauf sei verwiesen und daraus nur zitiert, dass die Weltbank für sich in Anspruch nimmt, sie habe viele Länder allein durch die Zusammenstellung und Verbreitung der Indikatoren für Wirtschaftsfreundlichkeit in ihren Doing-Business Reports veranlasst, ihr Rechtssystem zu modernisieren.

VI. Kritik der Konvergenzthese

1. Kritik der Kritik

Die (alte) Modernisierungstheorie gilt manchen Soziologen nur noch als historisch relevant.[35] Sie wurde beiseitegeschoben nicht eigentlich aus theoretischen Gründen, sondern weil sie als Weltdeutung verstanden wurde, die für Intellektuelle im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts nicht akzeptabel war.[36] Beerbt wurde sie von Differenzierungstheorien und von Weltgesellschaftstheorien.[37] Niemand bestreitet, dass die Globalisierung einen umfassenden Wandlungsprozess anschiebt. Aber zum guten Ton gehört die Aussage, dass die Globalisierung nicht einseitig auf die von der Modernisierungstheorie prognostizierte Konvergenz hinauslaufe, sondern viel eher als ein großer Differenzierungsprozess zu verstehen sei, mindestens aber, dass Konvergenz und Divergenz gleichzeitig als gegenläufige Entwicklungen zu beobachten seien.

Wie so oft bei großer Theorie redet man viel aneinander vorbei, indem man sich eine gegnerische Theorieversion heraussucht, an der man sich abarbeitet. Wer nach Differenzen oder Varietäten sucht, wird sie finden. Die Suche nach Ähnlichkeiten ist schwieriger, denn sie muss Vergleichsmaßstäbe angeben. Die Modernisierungstheorie hat sich auf eine Reihe von Parametern festgelegt, an denen Konvergenz gemessen wird. Als solche werden genannt und in verschiedenen Reports verwendet: Bruttosozialprodukt je Einwohner, relativer Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion, Urbanisierung, Anstieg der Lebenserwartung, Bildungsbeteiligung, Erwerbsbeteiligung von Frauen, Abnahme der Kinderzahl und Verkleinerung der Familie, Freiheitlichkeit, Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit, Effektivität des Regierungshandelns und Korruptionskontrolle, Infrastruktur und Innovationsfähigkeit. Konkurrierende Theorien haben nichts Vergleichbares zu bieten. Sie sind aber hilfreich, um Relevanzen und Bewertungen zu kontrollieren und kritisieren.

2. Weltgesellschaftstheorien

Luhmann hat die Modernisierungstheorie in die abstrakte These verpackt, dass die funktionale Differenzierung der Gesellschaft sich über alle Ländergrenzen hinweg durchsetzen und schließlich zu einer Weltgesellschaft führen werde. Für unterschiedliche Gesellschaftszustände, die als Binnendifferenzierung der Systeme erscheinen, bleibt viel Platz. Zusätzliche Parameter, mit deren Hilfe die Modernisierung als Konvergenz gemessen werden könnte, lassen sich ihnen aber nicht entnehmen. Das gilt auch für die Theorien der reflexiven Moderne. Sie bilden insofern keine Konkurrenz zur Theorie der weitergehenden Modernisierung.

Eine handfeste Gegenthese zur Konvergenzthese folgt aus der Weltsystemtheorie von Wallerstein.[38] Danach verursacht der Modernisierungsprozess eine wachsende Divergenz nicht nur in ökonomischer, sondern auch in kultureller Hinsicht; die Kräfte des Weltmarktes wiesen den drei von dieser Theorie postulierten Weltregionen – Zentrum, Semiperipherie und Peripherie – unterschiedliche wirtschaftliche Rollen zu, denen wiederum besondere politische und kulturelle Strukturen entsprächen. Doch auch diese Theorie ist als Gegenposition zur Modernisierungstheorie nicht wirklich weiterführend. Was als Divergenz zwischen Zentrum und Peripherie herausgestellt wird, sind aus der Sicht der Modernisierungstheorie – die damit dem Anliegen Wallersteins natürlich nicht gerecht wird – nur unterschiedliche Grade der Modernisierung.

3. Pfadabhängigkeit der Modernisierung

Literatur: Jürgen Beyer, Pfadabhängigkeit ist nicht gleich Pfadabhängigkeit, 34, 2005, 5–21; Paul A. David, Clio and the Economics of QWERTY, The American Economic Review 75, 1985, 332-337; Douglass C. North, Institutions, Institutional Change and Economic Performance, 1990; Raymund Werle, Pfadabhängigkeit, in: Arthur Benz u. a. (Hg.), Handbuch Governance, Wiesbaden 2007, 119-131.

Das Konzept der Pfadabhängigkeit wendet sich nicht direkt gegen die Modernisierungstheorie, leistet aber eine gerne akzeptierte Differenzierung. Die Pfadabhängigkeit bewirkt, dass Wirtschaftsverfassung und Demokratie, Rechts- und Sozialstaat, Familie und Kultur je nach den historischen und situativen Gegebenheiten unterschiedlichen »Pfaden« folgen und sich variantenreich entwickeln können. Sie begründet damit einen gewissen Widerstand gegen die Konvergenz gesellschaftlichen Wandels.

Das Konzept der Pfadabhängigkeit kommt aus der Wirtschaftswissenschaft, wo aufgefallenen war, dass sich von mehreren Alternativen nicht immer die effizientesten durchsetzen. Der Gedanke wurde populär, nachdem Paul A. David ihn dazu nutzte, um am Beispiel der Qwerty-Tastatur zu zeigen, warum eine Technologie auch dann noch langfristig überleben kann, wenn der für ihre Entwicklung verantwortliche Grund längst weggefallen ist, so dass sich eigentlich unter Effizienzgesichtspunkten eine verfügbare bessere Technologie durchsetzen müsste. Später machte Douglass North Pfadabhängigkeiten zur Grundlage für eine Theorie des institutionellen Wandels.

Grob gesprochen geht es bei der Pfadabhängigkeit darum, dass historisch gegebene Situationsbedingungen Einfluss darauf haben, wie sich aus einem neuen Impuls etwas entwickelt, kurz gesagt: Geschichte bleibt wichtig (history matters). Gemeint ist nicht nur die politische Geschichte, sondern Geschichte in einem umfassenderen Sinn, so dass man sagen muss, auch culture matters und religion matters. Die Pfadabhängigkeit begründet einen gewissen Widerstand gegen Wandlungsprozesse überhaupt, so dass manchmal von einem institutional lock-in die Rede ist. Die Übernahme des Konzepts in die Soziologie hat wohl zu einer Pfadabhängigkeit im soziologischen Denken geführt derart, dass es die gesellschaftlichen Beharrungstendenzen im Allgemeinen überschätzt (Werle S. 129).

4. Kulturalistische Kritik an der Konvergenzthese

Literatur: Arjun Appadurai, Disjuncture and Difference in the Global Cultural Economy, in: Mike Featherstone (Hg.), Global Culture, 1990, 295–310; James A. Field, Transnationalism and the New Tribe, International Organization 25, 1971, 353–372; Knut Hickethier, Hollywood, der europäische Film und die kulturelle Globalisierung, in: Bernd Wagner (Hg.), Kulturelle Globalisierung. Zwischen Weltkultur und kultureller Fragmentierung, 2001, 113-131; Edward W. Said, Orientalism: Western Conceptions of the Orient, London 1978 (mehrfach nachgedruckt).

Kulturalistische Kritik macht geltend, dass die Modernisierungstheorie die Bedeutung der Kultur für die Entwicklung der Gesellschaft prinzipiell verkenne. Meistens wird mehr oder weniger stillschweigend ein holistischer Kulturbegriff zugrunde gelegt. Holistisch ist ein Kulturbegriff, der sich viele große oder eher kleinere Kulturkreise vorstellt, die voneinander verschieden sind, in sich aber geschlossen, homogen und relativ statisch erscheinen. Er verbindet sich mit dem Kulturrelativismus[39], der jede Kultur als einzigartig ansieht, so dass sie ihren Wert in sich trägt. Das typische Argument lautet dann, die Übertragung einer modernen Institution in eine prämoderne Gesellschaft werde entweder misslingen oder deren indigene Kultur zerstören. Als Folge wird eine globale Homogenisierung konstatiert. Zur Abwehr dient die Forderung nach der Pflege kultureller Diversität. Kulturelle Diversität wird neben Biodiversität zu einem Wert an sich. Solche Kritik kann die Konvergenzthese aber nicht widerlegen, sondern nur beklagen.

Oft beschränkt sich die Behandlung des Zivilisations- oder Kulturkonflikts auf eine kritische Diskussion der amerikanischen Dominanz auf dem Unterhaltungsmarkt. Diese Dominanz war lange unbestreitbar. Auf der internationalen Bühne blieben amerikanische Filme und Fernsehprogramme ohne ernsthafte Konkurrenz. Erst in jüngster Zeit zeigt sich, ausgehend von Europa, Indien und China, eine größere Vielfalt.

Für die Überlegenheit der amerikanischen Unterhaltungsindustrie ist eine Reihe von Faktoren verantwortlich, darunter die schiere Größe von Produktion und Vertriebsinfrastruktur sowie die englische Sprache. Der Erfolg auf dem globalen Markt ist aber nicht nur eine Folge ihrer wirtschaftlichen Potenz. Die enorme Anziehungskraft auf fremdes Publikum hat auch etwas mit der Vitalität und Attraktivität der amerikanischen Kultur zu tun. Manche Kritiker unterstellen, dass amerikanische Unterhaltung sich deswegen überall auf der Welt so gut verkaufe, weil amerikanische Autoren sich schon immer mit Banalitäten zufrieden gegeben hätten. Das mag in einem gewissem Ausmaß zutreffen, ist aber sicher nicht die ganze Wahrheit. Die USA sind ein Land, das von Immigranten verschiedenster Herkunft dominiert wird, und ein Weg, diese Vielfalt in Einklang zu bringen, ist die Suche nach einem Unterhaltungsmedium, das vom kleinsten gemeinsamen Nenner ausgeht. Der populistische Impuls, geboren aus der Notwendigkeit, die unterschiedlichsten Menschen anzusprechen, hat vermutlich dabei geholfen, eine »Kunst« zu schaffen, die über größere Attraktivität verfügt als die Produkte des formalistisch elitären Kulturbetriebs in Europa. Das amerikanische Entertainment ist aber auch mit kulturellen Werten durchsetzt, die für Menschen auf der ganzen Welt attraktiv sind – Freiheit, Wohlstand, Selbstbestimmung, Optimismus und Gleichheit. Dieser amerikanischen »Lebensphilosophie« kann viel von der internationalen Popularität amerikanischer Unterhaltung zugeschrieben werden.

Mit Sicherheit spielen die Massenmedien eine Rolle bei der Reproduktion oder Destruktion nationaler Kultur und Identität. Dennoch muss eine Untersuchung kultureller Konvergenz historisch viel früher ansetzen, als mit der Erfindung des Fernsehers, die den Transfer von Wissen, Fähigkeiten und Einstellungen zwischen Zentrum und Peripherie vervielfachte. Schon vorher wurden auch traditionelle Gesellschaften von der Idee des Wandels angesteckt, des individuellen Wandels durch Bekehrung oder Erziehung und des Wandels der Umwelt durch die Technik (Field S. 361). Davon abgesehen muss man sehr vorsichtig vorgehen, wenn man Schlüsse aus politökonomischen Strukturen der Kulturindustrie auf die Art und Weise der Rezeption ihrer Produkte in verschiedenen Kulturen ziehen will. Appadurai (S. 295) hat dies so präzisiert:

»Most often, the homogenization argument subspeciates into either an argument about Americanization, or an argument about ›commoditization‹, and very often the arguments are closely linked. What these arguments fail to consider is that at least as rapidly as forces from various metropolies are brought into new societies they tend to become indigenized in one or the other way: this is true of science and terrorism, spectacles and constitution.«

Field beschreibt diesen Prozess der Adaption und Assimilation einströmender kultureller Muster durch die einheimische Kultur dahin, dass sich infolge der mit der Schrumpfung und Vernetzung der Welt einhergehenden Verbreitung westlichen Wissens nicht eine einheitliche, globale Kultur gebildet hat, sondern zwei Ebenen von Kultur ausdifferenziert wurden:

»two cultures – better perhaps, two levels of culture – one global and the other local, national, or provincial. Some rough earlier analogues could be seen in the extension of Roman and Moslem rule, in the imposition of Spanish control systems on the indigenous population of the Americas, and in the British domination of India. But the latter-day phenomenon was notably less political and depended more on contagion than on conquest.« (Field S. 367)

Indessen kann die lokale Ebene mit ihrer Diversität die einheitliche globale Kultur nicht abschütteln.[40]

5. Kampf der Kulturen

Literatur: David E. Apter, Globalisation and the Politics of Negative Pluralism, International Social Science Journal 59, 2008, 255-268; ders., Marginalization, Violence, and Why We Need New Modernization Theories, in: World Social Science Report, Paris 2010, S. 32-37; Samuel P. Huntington, The Clash of Civilizations?, Foreign Affairs 72, 1993, 22-49; ders., Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, 2002 (engl. Original 1997); Amartya Sen, Die Identitätsfalle. Warum es keinen Krieg der Kulturen gibt, 2007; Friedrich H. Tenbruck, Der Traum der säkularen Ökumene. Sinn und Grenze der Entwicklungsvision, Annali di Sociologia/Soziologisches Jahrbuch 3, 1987, 11-36.

Die Befürchtung einer Homogenisierung von Kultur im Zuge der Globalisierung hat als Gegenreaktion hat die Sorge um kulturelle Identitäten, Diversität und Einmaligkeit hervorgerufen. Man befürchtet, dass die exzessive Kommunikation fremder kultureller Produkte eine einheimische Kultur beschädigen oder gar zerstören könne. Manche Beobachter zeichnen das Bild der kulturellen Konvergenz daher nicht als wechselseitige Bereicherung, sondern stellen sich die Welt als kulturelles Schlachtfeld vor. Unter der Überschrift »The Clash of Civilizations« hat Samuel P. Huntington (1993) die These vertreten, in der Welt von morgen würden Konflikte zwar nicht länger aus konkurrierenden politischen Ideen oder wirtschaftlichen Rivalitäten entstehen. Dafür werde es aber zum Zusammenstoß von Zivilisationen kommen, in erster Linie wohl zwischen der europäisch orientierten Industriegesellschaft und den verschiedenen nicht westlichen Zivilisationen.

Huntington unterschied sechs große Zivilisationen, die ihrerseits in zahlreiche lokale Kulturen untergliedert sind, den Westen, den Islam, den Konfuzianismus, den Hinduismus, die slawisch-orthodoxe Welt, die japanische Zivilisation und den Latinoamerikanismus. Er ließ offen, ob auch Afrika als Zivilisation in diesem Sinne gelten kann. Der Kalte Krieg werde durch eine neue Form des internationalen Konflikts abgelöst, weil das Bewusstsein der Menschen, einer bestimmten Zivilisation zuzugehören, wachse oder wiedererwache und sie von anderen Zivilisationen abgrenze.

Huntington ist von der Kritik behandelt worden, als hätte er etwas Unanständiges gesagt. Ich halte mich an Tenbruck, wenn er der »allseitigen Öffnung, Durchdringung und Vermischung der Kulturen«, die durch die »globale Präsens der Massenmedien in neue Dimensionen« hineingetrieben werde, ein neuartiges Konfliktpotential zuschreibt:

»Das ergibt im Dauereffekt nicht ein ›Kulturkonzert‹ mit Austausch, Bereicherung und Befruchtung auf Gegenseitigkeit, sondern eine Konfrontation, welche den Fortbestand der einzelnen Kulturen in ihrer selbständigen Individualität und Lebendigkeit bedroht. Eine nüchterne Betrachtung der Lage lehrt, daß hier mit verschiedensten kulturellen Kolonialisierungen, Selbstbehauptungsbewegungen, Deklassierungen zu Subkulturen wie auch mit dem Sprachverlust, der Einschmelzung, ja dem Ende von Kulturen gerechnet werden muß. Neu daran aber ist, daß all dies ohne Eroberung vor sich geht wie ein globaler Kulturkampf, dessen Träger und deren Ziele kaum zu erfassen sind. Hier vollzieht sich Geschichte in einer neuen Form, für die uns noch die Kategorien fehlen. Doch eines ist sicher: daß darin nur einige Kulturen und Kulturmuster sich behaupten werden.« (Tenbruck S. 14, ausführlicher noch S. 30f.)

Die Konflikthaftigkeit des Modernisierungsprozesses ist nicht zu übersehen. Konsequente Anhänger der Theorie führen sie jedoch nicht in erster Linie auf religiöse und kulturelle Differenzen zurück, sondern auf die Ungleichheiten, die die Modernisierung durch das unterschiedliche Tempo in den verschiedenen Ländern hat aufbrechen lassen.[41] Danach waren etwa die Proteste gegen Mohammed-Videos oder Karikaturen nicht in erster Linie als religiöser oder kultureller Konflikt, sondern als Auflehnung der Modernisierungsverlierer zu interpretieren.

6. Eisenstadt: Die Vielfalt der Moderne

Literatur: Shmuel N. Eisenstadt, Comparative Civilizations and Multiple Modernities, Leiden 2003 (Aufsatzsammlung, darin »Multiple Modernities in an Age of Globalization« von 1999 sowie »Multiple Modernities« von 2000); ders., Multiple Modernen im Zeitalter der Globalisierung, in: Thomas Schwinn (Hg.), Die Vielfalt und Einheit der Moderne, 2006, 37-61; ders., Multiple modernities: Analyserahmen und Problemstellung, in: Thorsten Bonacker/Andreas Reckwitz (Hg.), Kulturen der Moderne, 2007, 19-45; ders., Die Vielfalt der Moderne, 3. Aufl., 2011; Heinz-Jürgen Niedenzu, Shmuel N. Eisenstadt: Modernization: Protest and Change, in: Samuel Salzborn (Hg.), Klassiker der Sozialwissenschaften, 2016, 245-249; Volker H. Schmidt, Die ostasiatische Moderne – eine Moderne ›eigener‹ Art?, Berliner Journal für Soziologie 20, 2010, 123-152; ders., Global Modernity. A Conceptual Sketch, Basingstoke 2014; Thomas Schwinn, Multiple Modernities: Konkurrierende Thesen und offene Fragen, Zeitschrift für Soziologie 38, 2009, 454-476; Ulrich Willems (Hg.), Moderne und Religion. Kontroversen um Modernität und Säkularisierung, 2013.

Die Berücksichtigung der Pfadabhängigkeit führt zu einer Verfeinerung der Modernisierungstheorie, lässt deren zentrale Aussage aber unberührt. Dagegen wird das Konzept der multiplen Modernen von Shmuel N. Eisenstadt von vielen so verstanden, als rühre es an die Substanz der Modernisierungstheorie.

»Im Gegensatz zur Ansicht, moderne Gesellschaften seien der natürliche Endpunkt der bisherigen Evolution menschlicher Gesellschaft, geht diese Sicht davon aus, dass die Moderne eine im Westen entstandene Zivilisation ist, die sich zum Teil analog zu der Kristallisierung und Expansion der großen Religionen — Christentum, Islam, Buddhismus, Konfuzianismus – in der ganzen Welt ausgebreitet hat. Die zweite Annahme multipler Modernen ist, dass diese Zivilisation, mit ihrem spezifischen kulturellen Programm und seinen institutionellen Auswirkungen sich ständig verändernde kulturelle und institutionelle Muster hervorgebracht hat, die unterschiedliche Reaktionen auf die Herausforderungen und Möglichkeiten, die in den Kernmerkmalen moderner zivilisatorischer Prämissen enthalten sind, darstellen. Mit anderen Worten, die Expansion der Moderne brachte keine uniforme und homogene Zivilisation hervor, sondern, in der Tat, multiple Modernen.« (Eisenstadt 2006:37)

Eisenstadt geht zwar davon aus, dass es sozusagen einen Kern der Moderne gibt, der aber unterschiedliche Ausprägungen findet, die nicht bloß als Varianten einer zielgerichteten Entwicklung verstanden werden dürfen, sondern jeweils eigenständige Gesellschaftsformationen bilden. Die Basis der Moderne verlegt Eisenstadt in die (von Karl Jaspers so getaufte) Achsenzeit, also in die Zeit von 800 bis 200 v. Chr., in der mythische Kulturen durch abstrakt-transzendente Religionen abgelöst wurden und in der sich die vier großen Kulturkreise gebildet haben, die bis heute die Welt prägen, die griechisch-römische Antike, das Judentum, der Buddhismus und der Konfuzianismus. Eisenstadt dehnt die Achsenzeit noch auf die Entstehung des Islam aus und bedenkt die japanische als eine Kultur ohne ausgeprägte transzendente Konzeption. Das führt zu einer Betonung der Nachwirkung dieser Kulturkreise auch für den Modernisierungsprozess.

Mit diesem Modell hat Eisenstadt viel Zustimmung erfahren. Das Problem liegt darin, dass das, was Eisenstadt selbst als »Kern der Moderne« bezeichnet, verschwommen bleibt.

Stichworte aus Eisenstadt 2006: »Anerkennung der Möglichkeit …, zwischen mannigfaltigen, über festgelegte und askriptive hinausgehende Rollen« zu wählen und »Teil umfassender translokaler, womöglich auch sich wandelnder Gemeinschaften zu sein« (S. 38f.); Reflexivität und Autonomie. Größeren Wert legt Eisenstadt auf die mit der Moderne verbundenen »Spannungen« (Suche nach Wiederherstellung von Gewissheit, Spannung zwischen »Kontrolle und Autonomie, oder Disziplin und Freiheit« (S. 39), Zweckrationalität und Wertrationalität (S. 40), zwischen »absolutierenden« und pluralistischen Tendenzen (S. 40).»Verlust der Grundlagen aller Gewissheit und die Suche nach ihrer Wiederherstellung« (S. 39), »zentrale Rolle des Politischen« (S. 42), »Nationalstaaten und revolutionäre Staaten als charismatische Träger des Leitbildes der Modernität« (S. 51), »Anerkennung der Möglichkeit …, zwischen mannigfaltigen, über festgelegte und askriptive hinausgehende Rollen« zu wählen und »Teil umfassender translokaler, womöglich auch sich wandelnder Gemeinschaften zu sein« (S. 38f.)

Mit Blick auf die Globalisierung charakterisiert Eisenstadt die »klassische Epoche der Moderne« auf eine Art, dass man ihn für einen Anhänger der Modernisierungstheorie halten könnte:

»… vier unterschiedliche Prozesse: erstens, weitreichende, mit der Entwicklung neuer Technologien und der Herausbildung neuer Muster der politischen Ökonomie eng verbundene strukturelle Transformationen hin zur Wissens- und Informationsgesellschaft … ; zweitens, gleichzeitige umfangreiche Veränderungen der allgemeinen sozialen Strukturen sowie der Klassen- und Statusbeziehungen; drittens, kontinuierliche Demokratisierungstendenzen auf der gesamten Welt …; viertens, ein umfassender ideologischer und kultureller Wandel.« (S. 46.)

Was Eisenstadt als »Kern der Moderne« bezeichnet, lässt sich aber nicht empirisch festmachen. Ebenso wenig wird die Qualität der Varianten deutlich formuliert. Deshalb fällt es leicht, überall Variation, Differenz oder gar Divergenz zu finden. Eisenstadts Paradebeispiel für eine eigenständige Variation der Modernität ist das moderne Japan (Kap. 3 S. 110ff). Aber wenn man sich auf operationalisierbare Parameter festlegt, mit denen Modernisierung gemessen wird[42], so entspricht die Entwicklung Japans, und auch die der asiatischen Tigerstaaten, sehr genau den Prognosen der Modernisierungstheorie. Das hat Volker H. Schmidt vorgerechnet.

Wenig überzeugend ist auch die Auszeichnung fundamentalistischer Bewegungen als Variante der Moderne, die insofern modern sein sollen, als sie antimoderne Ideen verkünden (Kap. 4 S. 174ff). Eisenstadt betont, dass sie »die Grundthematik der Moderne« nicht verlassen. Er bescheinigt ihnen, sie seien »zutiefst reflexiv«  und »sich dessen bewusst, dass es keine definitiven Antwort auf die Spannungen der Moderne gibt, selbst wenn jede auf ihre Art eindeutige, unbestreitbare Antworten auf die unlösbaren Dilemmas der Moderne anzubieten versucht.« (2006:59) So zeigen sich im Prozess der Globalisierung für Eisenstadt vielfältige Reaktionen auf die »Grundantinomien des modernen Programms«. Ich werde sie gleich noch als Rückkopplungsschleifen einordnen. Der andauernden Schubkraft dieses Programms tun sie keinen Abbruch.

Eisenstadt stellt auch die Interdependenzbehauptung der Modernisierungstheorie in Frage, denn »in allen oder fast allen Gesellschaften zeigen die verschiedenen institutionellen Sphären – Wirtschaft, Politik, Familie – stets relativ voneinander unabhängige Merkmale« (S. 11). Richtig ist sicher, dass die Institutionen eines jeden Landes – außer den genannten auch Recht und Religion, Bildungssektor und Arbeitsmarkt, Gesundheitssystem und soziale Sicherung – nicht nur in ihrer je einzelnen Ausprägung, zu spezifischen Paketen »verschnürt« sind, die dem Lauf der Modernisierung jeweils Tempo und Richtung vorgeben.[43] Doch darin zeigt sich nur die Pfadabhängigkeit der Entwicklung. Das Interdependenztheorem behauptet nicht mehr, als dass alle Institutionen der Gesellschaft vom Modernisierungsprozess affiziert werden. Es behauptet keinen Gleichschritt und keine Homogenisierung. Eisenstadts Vielfaltsthese ist letztlich nur eine emphatische Ausarbeitung des Theorems von der Pfadabhängigkeit der Entwicklung.

Die große Zustimmung, die Eisenstadt gefunden hat[44], dürfte darauf beruhen, dass er die Modernisierung aus der Verklammerung mit einer amerikanischen Leitkultur befreit, ohne einen global wirksamen Modernisierungstrend in Abrede zu stellen. Damit hat er mehr zur Stützung der Modernisierungstheorie beigetragen, als zu ihrer Überwindung.

7. Kritik der Säkularisierungsthese

Literatur: Hamed Abdel-Samad, Der Untergang der islamischen Welt, Eine Prognose, München 2010; José Casanova, Public Religions in the Modern World, Chicago 1994; ders., Welche Religion braucht der Mensch? Theorien religiösen Wandels im globalen Zeitalter der Kontingenz, in: Bettina Hollstein u. a. (Hg.), Handlung und Erfahrung, 2011, 169-189; Karl Gabriel, Jenseits von Säkularisierung und Wiederkehr der Götter, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 58, 2008, Heft 52, 9-15; Steffen Graefe, Der neue radikale Hinduismus, 2010; Thomas Großbölting, Der verlorene Himmel, Glaube in Deutschland seit 1945, 2013; Hans Joas, Führt Modernisierung zu Säkularisierung?, in: Gerd Nollmann/Hermann Strasser (Hg.), Woran glauben?, Religion zwischen Kulturkampf und Sinnsuche, 2007, 27-45; Pippa Norris/Ronald Inglehart, Sacred and Secular, Religion and Politics Worldwide, 2. Aufl., Cambridge 2011; Gert Pickel, Religionsmonitor. Religiosität im internationalen Vergleich; Detlef Pollack, Rekonstruktion statt Dekonstruktion: Für eine Historisierung der Säkularisierungsthese, Zeithistorische Forschungen, Online-Ausgabe, 7, 2010, H. 3; Detlef Pollack/Olaf Müller, Religionsmonitor Deutschland, Bertelsmann-Stiftung, 2013; Detlef Pollack/Gergely Rosta, Religion in der Moderne, Ein internationaler Vergleich, 2015.

Zum Kern der Modernisierungstheorie gehört die Säkularisierungsthese. Sie behauptet dreierlei, nämlich erstens die Entzauberung der Welt in dem Sinne, dass religiöse Deutungen nicht länger die Öffentlichkeit dominieren; zweitens Entkirchlichung, d. h. den Rückgang der organisierten Religionsmitgliedschaft, und drittens Privatisierung, also die Trennung von Religion und Politik, so dass religiöse Bekenntnis zur Privatsache wird. Die Säkularisierungsthese gehörte im 20. Jahrhundert zum Grundbestand aller Theorien des sozialen Wandels.

Eine Konvergenz der Religionen ist nicht in Sicht. Nicht einmal die christlichen Konfessionen schaffen den Schritt zur Ökumene, und Schiiten und Sunniten bekämpfen sich wie einst die Konfessionen im 30jährigen Krieg. Allenfalls der Konfuzianismus, eher Philosophie als Religion, versickert zum Teil in die westliche Kultur. In Asien, Afrika und Südamerika, wo sich das Christentum immer noch ausbreitet, kommt es in großem Umfang zu Hybridisierungen, die christliche Inhalte mit einheimischer Kultur und Religiosität bis hin zum Okkultismus verbinden. Dagegen hat sich der Islam durch seine Politisierung von anderen Religionen abgegrenzt und zwingt dadurch auch die anderen, durch Abgrenzung zu reagieren. Der Aufbruch des Islam hat sich etwa zeitgleich mit dem Zusammenbruch des Ostblocks ereignet, hat aber zunächst nicht annähernd so viel Aufmerksamkeit gefunden, weil er nicht an eine bestimmte Jahreszahl oder ein singuläres Ereignis gekoppelt war, bis er 2001 in der öffentlichen Wahrnehmung mit dem Anschlag auf das World Trade Center verbunden wurde.

Religionsstatistiken sind notorisch unzuverlässig, weil sie oft politisch geschönt werden, so wenn in der Türkei der Anteil der Muslime mit 99 % und in China der Anteil der Christen mit 1 % angegeben wird. Davon abgesehen geht die äußere Zugehörigkeit zu einer Religion nicht immer mit dem Eigenbild der Gezählten einher. Mit diesem Vorbehalt seien einige Zahlen genannt: Die Zahl der Christen weltweit wird mit etwa 2 Milliarden angegeben, davon 1 Milliarde Katholiken. Muslime soll es gleichfalls etwa 1 Milliarde geben, Hindus 900 Millionen. Die Internetseite adherents.com zitiert nach eigenen Angaben aus 43.941 Statistiken.

Wahrscheinlicher als die Konvergenz der Religionen bleibt eine Säkularisierung der Gesellschaft wie sie in Europa weit fortgeschritten ist.[45] Aber viele halten die Säkularisierungsthese für widerlegt, nachdem José Casanova auf die seit den 1980er Jahren zu beobachtende Renaissance der Religionen aufmerksam gemacht hatte.[46] Da diese These im Rahmen der Rechtssoziologie nicht adäquat erörtert werden kann, sei dazu aus einer Veröffentlichung Casanovas zitiert:

»Ich stelle hiermit nicht die Tatsache in Frage, dass ein radikaler historischer Prozess der Säkularisierung stattgefunden hat …; ebenso wenig bezweifle ich die Tatsache, dass wir in einem säkularen Zeitalter leben. … im Sinne der globalen Expansion eines säkularen Interpretationsrahmens … werden nicht nur die ›säkularen‹ Gesellschaften des Westens, sondern die ganze Welt zunehmend säkular und ›entzaubert‹ in dem Sinn, dass die kosmische Ordnung zunehmend durch die moderne Wissenschaft und Technologie definiert wird, dass die soziale Ordnung zunehmend durch die Verknüpfung von ›demokratischen‹ Staaten, Marktökonomien und medialen Öffentlichkeiten definiert wird, und dass die moderne Ordnung zunehmend durch die Kalkulationen von Rechte besitzenden individuellen Akteuren definiert wird, die Menschenrechte, Freiheitsrechte, Gleichheit und das Streben nach Glück einfordern.« (2011 S. 187)

Autoren aus dem Exzellenzcluster »Religion und Politik« der Universität Münster (Pollack/Rosta) verteidigen dagegen die Säkularisierungsthese. Funktionale Differenzierung – das ist der Kern der Modernisierung – reduziere prinzipiell die Relevanz der Religion. Der moderne Pluralismus bringe keine Aufwertung der Religionen. Auch Individualisierung führe nicht zu neuer Religiosität. Es wird zwar immer wieder darauf hingewiesen, dass fehlende Bindung an eine Kirche nicht mit dem völligen Fehlen von Religiosität gleichzusetzen sei, sondern durch eine Individualisierung der Religion ersetzt werde.[47] Private Religiosität bleibt aber sozial so irrelevant, dass sie die Säkularisierung nicht aufhält.

Manche erwarten, dass die Politisierung der Religionen oder jedenfalls des Islam, wie sie gegenwärtig beobachtet wird, die Säkularisierung impliziert. 57 islamische Staaten haben sich in der OIC zusammengeschlossen. Bemerkenswert ist daran, dass es überhaupt islamische Staaten gibt, denn damit ist das zentrale islamische Dogma verlassen, nachdem es jenseits der Umma, also der Gemeinde mit dem Kalifat, keine weitere Organisation der Gesellschaft geben soll. Der Demokratisierungsprozess der Arabellion schwankt zwischen religiösen und säkularen Modellen. Allein die Tatsache, dass hier eine Wahl zu treffen ist und als demokratisches Minimum ein Toleranzgebot institutionalisiert werden muss, ist ein Schritt zur Säkularisierung. Immerhin hat ein muslimischer Wissenschaftler, Hamed Abdel-Samad, den Untergang der islamischen Welt vorhergesagt.

Was den Anschein einer Wiederkehr der Religionen erweckt, sind sekundäre Allianzen auf den großen sozialen und politischen Konfliktfeldern. In weiten Teilen der Welt steckt hinter der Politisierung der Religionen die Auflehnung der Modernisierungsverlierer, der zunächst zu einer Gegenbewegung gegen die Säkularisierung führt. Religiöser Fundamentalismus und die Verbindung von Religion und Nationalismus sind seine Kennzeichen, der islamische Aufbruch und das Erstarken des Hinduismus in Indien seine Erscheinungsformen.

VII. Konvergenz als Einfalt der Vielfalt

1. Verschränkung von Konvergenz und Divergenz

Die (alte) Modernisierungstheorie wurde von Differenzierungstheorien beerbt, die sich gegen die großen Entwicklungstrends einer vermeintlich universellen Globalisierungslogik wenden und die Konvergenzthese in Frage stellen. In den Blickpunkt des Interesses rückte die Frage, wie sich Konvergenz und Divergenz als simultane und wechselseitig verschränkte Prozesse begreifen lassen. Niemand bestreitet, dass die Globalisierung einen umfassenden Wandlungsprozess anschiebt. Aber zum guten Ton, wie ihn z. B. das Programm des Soziologentags in Bochum 2012 anstimmte, gehört die Aussage, dass die Globalisierung nicht einseitig auf die von der Modernisierungstheorie prognostizierte Konvergenz hinauslaufe, sondern viel eher als ein großer Differenzierungsprozess zu verstehen sei, mindestens aber, dass Konvergenz und Divergenz gleichzeitig als gegenläufige Entwicklungen zu beobachten seien.

Zur Kritik der Modernisierungstheorie taugt die Entgegensetzung von Konvergenz und Divergenz wenig. Konvergenz bezeichnet eine gerichtete Entwicklung. Anders als der Konvergenzbegriff der Modernisierungstheorie gibt der Divergenzbegriff keine Tendenzen an, sondern beschränkt sich auf die Verneinung von Konvergenz. Dass die Welt jenseits der Differenz von entwickelten und weniger entwickelten Gesellschaften in bestimmter Weise auseinanderdriftet, behaupten auch die Kritiker der Modernisierungstheorie nicht ernsthaft. Sie insistieren nur auf Vielfalt oder Diversität. Divergenz ist also nicht dasselbe wie Diversität oder Vielfalt. Mit letzterer hat die Modernisierungstheorie kein Problem. Für eine fortgeschriebene = modernisierte Modernisierungstheorie bedeutet Konvergenz nicht Homogenisierung, sondern strukturelle Vielfalt. Traditionelle Gesellschaften waren sehr viel homogener als moderne. Erst die Modernisierung hat die Welt pluralistisch gemacht. Neue Vielfalt wird laufend durch die Modernisierung selbst produziert, und zwar auf mindestens vier unterschiedlichen Wegen, nämlich durch die Pfadabhängigkeit sozialen Wandels(o. VI. 3), durch eine »Melange« vorhandener Kulturelemente (Hybridisierung, o. V. 2), durch die Abkopplung (decoupling, John Meyer) lokaler Praxis von globaler Institutionalisierung (o. V. 7) c) sowie durch ständige Rückkopplungsprozesse.

Die Globalisierung steckt voller Rekursivität. Sie löst lokale Veränderungen aus, die wiederum auf die globale Ebene zurückwirken. Wer solche Schleifen zu Paradoxien hochstilisiert, ist schnell dabei, gegenläufige Entwicklungen zu entdecken. Die Suche nach Ähnlichkeiten ist schwieriger, denn sie muss Vergleichsmaßstäbe angeben. Die Modernisierungstheorie hat sich auf Parameter festgelegt, an denen Konvergenz gemessen werden soll. Die Differenzierungstheorien haben nichts Vergleichbares vorzuweisen. Deshalb läuft die Kritik der Modernisierungstheorie, wie sie von Eisenstadt formuliert worden ist, ins Leere (o. VI. 7).

Das bedeutet nicht, dass die Modernisierung verlustfrei zu haben wäre. Der Preis für die Teilhabe an der Weltgesellschaft ist eine Relativierung von Kultur und Religion, der Verlust partikularer Identitäten. Er ist auch schon dort zu zahlen, wo die Modernisierung erst begonnen hat. Besonders die Gesellschaften, denen die Modernisierung von außen aufgedrängt wird, leiden unter der beinahe gewaltsamen Zerstörung gewachsener Strukturen. Globalisierung wird so zur neuen Form der Entfremdung. Der Weg zurück zum Naturzustand, der bekanntlich erst im Zustand der Entfremdung zum Thema wird, führt zur Suche nach besonderen Lebensformen, die sich zur Identitätsbildung anbieten. Die wichtigsten sind wohl Religion, ethnische Zugehörigkeit und als deren spezielle Ausprägung Indigenität.

»Indigen« sind nach der Definition der Vereinten Nationen die Erstbewohner eines Territoriums, die freiwillig kulturelle Besonderheiten zu bewahren versuchen suchen, sich selbst als abgrenzbare Gemeinschaft wahrnehmen und Erfahrungen mit Unterdrückung, Marginalisierung und Diskriminierung gemacht haben. Für einen Überblick auf das International Indigenous Peoples Movement sei verwiesen auf Lorie Graham/Nicole Friederichs, Indigenous Peoples, Human Rights, and the Environment, (erscheint inYale Human Rights and Environment Dialogues Report).

Große Bestände an Kulturmustern finden sich in der Vergangenheit. Sie haben den Vorzug dass sie sich als Tradition selbst legitimieren. So produziert die Modernisierung den lokalen Neotraditionalismus, der insbesondere im subsaharischen Afrika große Bedeutung erlangt hat. Diesen bedient auf globaler Ebene die Ethnologie.[48] Die Industriestaaten, die mit der Modernisierung vorangegangen sind, haben ihren Neotraditionalismus, der sich vor allem in Nationalismus und zugehörigen Symbolen äußerte, schon hinter sich.[49]

Damit ist die Rückkopplung zwischen global und lokal aber immer noch nicht beendet. Die Globalisierung liefert wiederum die Instrumente zu ihrer Unterwanderung, indem sie das globale Konzept der Menschenrechte zur Absicherung regionaler Besonderheiten anbietet. So ist im Zuge der Globalisierung die Berufung auf Pluralität im Allgemeinen und auf Indigenität im Besonderen selbst zu einem Konvergenzphänomen geworden. In der Folge geht die Institutionalisierung universalistischer Rechtsvorstellungen auf der globalen Ebene örtlich mit einer Rückwendung zu nationalen, indigenen oder religiösen Rechtstraditionen einher. Rechtspluralismus ist angesagt. Er findet sich in dem Revival der Scharia oder in den Versöhnungskommissionen, die in Südafrika auf die Ubuntu-Tradition und in Ruanda auf das alte Rechtssystem des Gacaca zurückgreifen. Was als originäre Identität einer Rechtskultur auftritt, ist in dieser Perspektive nichts Authentisches, Ursprüngliches, sondern ein Aspekt von und ein Produkt der Globalisierung, eben Neotraditionalismus. Die Betonung des Eigenwerts partikularer Rechtskulturen als Reaktion auf die Globalisierung ist ihrerseits eine globale Erscheinung.

Die Ironie der Entwicklung liegt darin, dass Konvergenz sich auf einem übergeordneten Niveau als Konvergenz zur Vielfalt ereignet. Der Vergleich ist schief, aber doch erhellend: Überall wollen Jugendliche sich ihrer Besonderheit, Diversität oder Individualität versichern, indem sie sich auffällig irgendwie anders als der Mainstream verhalten oder auch nur aussehen, und sie versuchen es mit Tattoos, Piercings, bunten Haartrachten oder Phantasiemoden. Das Ergebnis ist eine neue Uniformität der Individualität.

»We appear to live in a world in which the expectation of uniqueness has become increasingly institutionalized and globally widespread.«[50]

Robertson[51] spricht von der Universalisierung der Partikularität, Schwinn[52] von einer Standardisierung der Differenzen:

»Kulturen werden verschieden in sehr uniformen Wegen.«

Vielfalt oder Pluralität sind zum Standard der Modernität geworden.

2. Von der organischen zur normativen Solidarität

Auf dem Soziologentag 2012 in Bochum wurde die Anschlussfrage gestellt, was die Vielfalt der Gesellschaft zusammenhält.

»Während die – von Vielen als wachsend wahrgenommene – Pluralität sozialer Lebensäußerungen und -formen also einerseits als Bedrohung des ›sozialen Bands‹ thematisiert wird, erscheint sie andererseits geradezu als Voraussetzung und grundlegender Mechanismus der Stiftung (neuer) sozialer Bindungen.« (Programm S. 14)

Es geht um nichts weniger als um Nachfolgekandidaten für die von Durkheim so genannte organische Solidarität. Die Programmautoren der DGS haben die »die ›klassische‹ (Parsonssche) Sichtweise, soziale Kohäsion werde vor allem durch normative Integration gesichert« auf das Altenteil geschickt (Programm S. 18). Damit liegen sie falsch. Sicher gibt es unterhalb der normativen Ebene unzählige Konstellationen, in denen sich organische Solidarität bewährt, weil Vielfalt vielerlei Arbeitsteilung und Austausch nach sich zieht. Aber ohne den normativen Rahmen, ohne den institutionalisierten Imperativ der Diversität und Toleranz, gibt es in größeren Gesellschaften keinen positiven Pluralismus. Auch Rechtspluralismus funktioniert nicht ohne einen universalistischen Rahmen.

Der faktische Pluralismus, der nicht zuletzt als Folge der Globalisierung überall zu beobachten ist, kann je nach dem Zustand der Gesellschaft der Modernisierung einen weiteren Schub geben und zu Wohlstand und Reichtum führen oder er kann die Entwicklung blockieren und Konflikt und Selbstzerstörung hervorbringen. Die unterschiedlichen Gesellschaftszustände lassen sich als positiver und negativer Pluralismus kennzeichnen.

Die Vielfalt, wie sie als Melange aus der Globalisierung und ihren Rückkopplungsprozessen entsteht, ist für moderne Gesellschaften zwar eine laufende Quelle von Querelen, etwa um die Grenzen der Zuwanderung oder den Raum, den man einer importierten Religionspraxis geben soll. Aber davon wird eine moderne Gesellschaft nicht zerrissen, sondern eher bereichert. Das gilt auch für die durch das Abstreifen von Traditionen möglich gewordene Vielfalt der Familienformen einschließlich solcher, in denen traditionell unterdrückte sexuelle Orientierungen zu ihrem Recht kommen. Moderne Gesellschaften sind in der Lage, einen positiven Pluralismus zu leben. Besonders in den Entwicklungs- und Transformationsländern zeigt sich der faktische aber als negativer Pluralismus. Im Schatten der unvollständigen Modernisierung gibt es viele destruktive Konflikte.

Von negativem Pluralismus ist die Rede, wo die Sicherung der Vielfalt gegen Selbstzerstörung nicht gewährleistet ist. Unter den Bedingungen der Globalisierung ist dieser Zustand vor allem bei den Modernisierungsverlierern anzutreffen. Sie machen über die Hälfte der Weltbevölkerung aus. Modernisierungsverlierer gibt es auch in modernisierten Gesellschaften. Aber dort wird jedenfalls soweit für sie gesorgt, dass ein offener und destruktiver Konflikt vermieden wird. Die große Masse Modernisierungsverlierer konzentriert sich jedoch in den Entwicklungs- und Transformationsländern, wo sie auf sich selbst angewiesen sind.

Die Modernisierungsverlierer sind nicht einfach nur arm, sondern sie sind in gewisser Weise funktionslos geworden, weil sie im Zuge der Modernisierung ihre überkommene Existenzgrundlage verloren, im modernen Wirtschaftsprozess aber keinen neuen Platz gefunden haben. Sie zahlen als Preis der Modernisierung mit einer Relativierung ihrer Kultur und dem Verlust gewachsener Identitäten. An vielen Plätzen hat die Veränderung der natürlichen Umwelt durch die Ausbreitung von Infrastruktur und Technik und oft auch durch Umweltzerstörung ihnen ihre natürlichen Lebensgrundlagen genommen. Unter den so Marginalisierten provoziert die Globalisierung lokale und partikulare Gegenbewegungen, die gerade in ihrer Gegnerschaft zu den globalisierenden Tendenzen neue soziale Identitäten hervorbringen. Sie suchen ihr Heil in religiösen oder ethnischen, rassischen oder ideologischen Zugehörigkeiten. Konsequenz sind gesellschaftliche Spaltungen und Konfrontationen, die den negativen Pluralismus ausmachen.

»Negative pluralism refers to any totalizing affiliation which results in the transformation of interests into principle and results in cleavage politics and increasingly differentiated societies. An example of such totalizing affiliations is race. Another is religion.« (David E. Apter, The Political Kingdom in Uganda, A Study of Bureaucratic Nationalism, 3. Aufl., London [u.a.] 1997, Fn. 85 auf S. LXXV)

Diese Definition lässt sich leicht in die bekannte Unterscheidung zwischen Wertkonflikt und Interessenkonflikt übersetzen. In einer modernen Gesellschaft ist die gesellschaftlich organisierte Interessenwahrnehmung selbstverständlich. Die Modernisierungsverlierer suchen ihre Zuflucht aber nicht in Interessenverbänden, sondern in traditionellen oder neotraditionellen Formationen, die Werte über Interessen stellen, indem sie deren religiöse, ethnische oder rassische Basis zu einem kompromissfeindlichen Prinzip steigern.

Als moralisches und als rechtsphilosophisches Problem ist die Frage nach den Grenzen des Pluralismus altbekannt. Es genügt hier, an das Problem der Selbstdestruktion der Toleranz oder der Demokratie zu erinnern. Die Philosophen wissen auch Rat, etwa John Rawls mit Forderung nach einem »overlapping consensus«[53]. Aber Philosophie hält keine Gesellschaft zusammen. In der Realität gibt keine durchschlagende Lösung. Man kann nur beobachten, dass in einem Teil der Welt die Gesellschaft an der neuen Vielfalt nicht zerbricht, sondern mehr oder weniger gut integriert bleibt, während in vielen anderen Teilen aus der Vielfalt Konfliktlinien wachsen.

Will man diese Beobachtung theoretisieren, so bieten sich die Überlegungen der Überlegungen der Meyer-Schule an. Den Zusammenhalt garantiert die Institutionalisierung eines positiven Pluralismus, wenn und soweit sie gelingt. Die Antwort ist allerdings auch beinahe trivial. Immerhin impliziert sie dreierlei.

  1. Es geht um eine soziale Frage, nicht um ein moralisches oder philosophisches Problem.
  2. Anscheinend begegnet die Institutionalisierung des Pluralismus auf der Ebene der Weltkultur geringeren Widerständen und ist dort weiter fortgeschritten als in nationalen und regionalen Gesellschaften.
  3. Die nationale und regionale Institutionalisierung eines positiven Pluralismus korreliert positiv mit den Indikatoren, die für Modernisierung stehen.

Positiver Pluralismus beruht auf der Wertschätzung von Diversität als (materielle und ideelle) Bereicherung und als Quelle laufender Innovation. Er ist eingebettet in einen institutionellen Rahmen, der einer konflikthaften Selbstzerstörung vorbeugt. Moralisch gehört dazu das Toleranzgebot und politisch Formen der Partizipation, wie sie in Demokratie und Rechtsstaat vorgesehen sind.

Auf der Ebene der Weltkultur ist der positive Pluralismus fest institutionalisiert. Dafür stehen, ganz abgesehen von den Achtungsansprüchen und Antidiskriminierungsregeln der Menschenrechtserklärung die UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen und die United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples von 2007. Man kann verfolgen, wie der Imperativ kultureller und religiöser Pluralität und als seine Kehrseite Diskriminierungsverbote in zahllosen nationalen und internationalen Dokumenten und Traktaten verfestigt ist. Repräsentativ ist wohl der UNESCO World Report, Investing in Cultural Diversity and Dialogue, 2009 [2000]. Man könnte diese Institutionalisierung eines positiven Pluralismus in der Weltkultur als normative Solidarität benennen, um dann nach der Reichweite der normativen Solidarität zu fragen.


[1] Johannes Berger, Die Einheit der Moderne, in: Thomas Schwinn (Hg.), Die Vielfalt und Einheit der Moderne, 2006, 201-225, S. 201.

[2] Friedrich H. Tenbruck, Der Traum der säkularen Ökumene. Sinn und Grenze der Entwicklungsvision, Annali di Sociologia/Soziologisches Jahrbuch 3, 1987, 11-36, S. 28.

[3] Der Begriff ist nicht ganz neu, hat aber als Epochenbezeichnung noch keine Kontur gewonnen. Edward A. Tyriakin schreibt über »Neo-Modernisierung: Lehren für die und aus der postsozialistischen Transformation« in: Klaus Müller, (Hg.), Postsozialistische Krisen, 1998, 31-52. Ein Buch von Michael Schmidt-Salomon »Erkenntnis aus Engagement« (1999) trägt den Untertitel »Grundlegungen zu einer Theorie der Neomoderne«.

[4] Nils Gilman, Mandarins of the Future. Modernization Theory in Cold War America, Baltimore 2003.

[5] Repräsentativ für solche Kritik ist Ugo Mattei/Laura Nader, Plunder. When the Rule of Law is Illegal, Malden MA 2008. Dazu meine ausführliche Besprechung auf Rsozblog: Über das Buch »Plunder« von Mattei und Nader .

[6] Thorsten Bonacker/Andreas Reckwitz, Das Problem der Moderne: Modernisierungstheorien und Kulturtheorien, in: dies. (Hg.), Kulturen der Moderne, 2007, 7-18.

[7] Einen Versuch zur Präzisierung unternimmt Johannes Berger, Die Einheit der Moderne, in: Thomas Schwinn (Hg.), Die Vielfalt und Einheit der Moderne, 2006, 201-225, S. 208f.

[8] Samuel P. Huntington, Political Order in Changing Societies, New Haven 1968, S. 1. Für Daniel Lerner war die Demokratie nur die »Krönung« der politischen Modernisierung, weil sie eine gewisse Reife des politischen Systems und auch die Bildung moderner Persönlichkeiten voraussetze (The Passing of Traditional Society, 1958, 64). Vgl. auch Ilja Srubar, War der reale Sozialismus modern? Versuch einer strukturellen Bestimmung, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 43, 1991, 415-432. Srubar verneint die Frage, da dem Sozialismus die für die Moderne notwendige Konstellation von privater und öffentlicher Sphäre gefehlt habe. Zur Moderne gehöre nämlich die Differenzierung von privatem Markt und öffentlichem Staat, der mittels einer rationalen Bürokratie vorhersehbares Handeln ermögliche.

[9] Seymour Martin Lipset, Some Social Requisites of Democracy: Economic Development and Political Legitimacy, The American Political Science Review 53, 1959, 69-105; ders., The Social Requisites of Democracy Revisited, American Sociological Review 59, 1994, 1-22.

[10] Wolfgang Merkel, Systemtransformation, 2. Aufl., 2010, 70ff.

[11] David E. Apter, Marginalization, Violence, and Why We Need New Modernization Theories, in: World Social Science Report, Knowledge Divides, Paris 2010, S. 32-37.

[12] Bestritten wird es etwa von Eisenstadt (Die Vielfalt der Moderne, 3. Aufl., 2011, S. 11).Vgl. auch Thomas Schwinn, Multiple Modernities: Konkurrierende Thesen und offene Fragen. Ein Literaturbericht in konstruktiver Absicht, Zeitschrift für Soziologie 38, 2009, 454-476, S. 458.

[13] Daniel Lerner, The Passing of Traditional Society, 1958, 438.

[14] Justin Yifu Lin, Youth Bulge: A Demographic Dividend or a Demographic Bomb in Developing Countries?, World-Bank-Blog 2012; Philip Plickert, Die große Migrationswelle kommt noch, FAZ vm 8. 8. 2016 S. 18.

[15] Ein viel zitiertes Modell stammt von Walt W. Rostow (The Stages of Economic Growth, A Non-Communist Manifesto, 1960, hier zitiert nach der 3. Aufl., Cambridge [England], New York 1990). Es unterscheidet fünf Phasen: Die traditionelle Gesellschaft, eine Übergangsperiode, den Durchbruch zu andauerndem Wachstum, der in England in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts stattfand, in Mitteleuropa und in den USA jedoch erst Jahrzehnte später. Es folgen eine Konsolidierungsperiode und schließlich das Zeitalter des Massenkonsums. Diese Phasen sind aber nicht auf die nachholende Modernisierung zugeschnitten.

[16] A. a. O. (Fn. 1159) S. 27.

[17] Francis Fukuyama, Das Ende der Geschichte, Europäische Rundschau, 1989, Nr. 4, 3-25 (Original in: The National Interest, Summer 1989); vgl. auch Arnold Gehlen, Ende der Geschichte? Zur Lage des Menschen im Posthistoire, in: Oskar Schatz (Hg.): Was wird aus dem Menschen? Analysen und Warnungen prominenter Denker, 1974, 61-75 = Gehlen, Einblicke, 1975, 115-133.

[18] Wolfgang Zapf, Modernisierungstheorie – und die nicht-westliche Welt, in: Thomas Schwinn (Hg.), Die Vielfalt und Einheit der Moderne, 2006, 227-235, S. 234; Thomas Schwinn, Konvergenz, Divergenz oder Hybridisierung?, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 58, 2006, 201-232, S. 214.

[19] Leon Gouré u.a., Convergence of Communism and Capitalism. The Soviet View, University of Miami: Center for Advanced International Studies; 1973; Herbert Meißner, Konvergenztheorie und Realität, 1969.

[20] Pitrim A. Sorokin, Soziologische und kulturelle Annäherungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, Zeitschrift für Politik 7 (Neue Folge), 1960, 341-370; JanTinbergen, Central Planning, New Haven: Yale University Press, 1964

[21] Raymond Aron, Die industrielle Gesellschaft, 1964.

[22] Bernd Windhoff, Darstellung und Kritik der Konvergenztheorie: Gibt es eine Annäherung der sozialistischen und kapitalistischen Wirtschaftssysteme?, 1971.

[23] Walt W. Rostow, Stadien wirtschaftlichen Wachstums, 1960; Fritz Sternberg, Wer beherrscht die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts? München, 1963. In einem Artikel in der FAZ vom 23. 9. 1992 S. N 5 hat Ulrich Beck auf drei »verkannte Propheten« aufmerksam gemacht, die den Untergang des Kommunismus vorausgesagt haben, nämlich Talcott Parsons, Ralf Dahrendorf und Hannah Arendt, und zwar Parsons in einem Aufsatz über die »Evolutionären Universalien der Gesellschaft« aus dem Jahre 1964, Dahrendorf in »Soziale Klassen und Klassenkonflikt« (1957) und Arendt in »Macht und Gewalt« (1969). Beck hätte auch noch das Buch des damals ganz jungen Historikers Emmanuel Todd nennen können (Vor dem Sturz. Vom Ende der Sowjetherrschaft, 1977).

[24] Clark D. Neher, Asian Style Democracy, Asian Survey (Berkeley) 34, 1994, 949-961.

[25] Thomas Meyer, Theorie der sozialen Demokratie, 2005, S. 459.

[26] Robert K. Merton hat es das Matthäus-Prinzip getauft, nach Matthäus 13,12: Wer da hat, dem wird gegeben. (The Matthew Effect in Science, Science 1968, 56-63; ders., The Matthew Efect in Science, II, ISIS 79, 1988, 606-623.

[27] Yves Gingras/Sébastien Mosbah-Natanson, UNESCO/International Social Science Council (Hg.), World Science Report 2010, 149-153, S. 151.

[28] Zur globalen Konvergenz von Verfassungen David S. Law/Mila Versteeg, The Evolution and Ideology of Global Constitutionalism, 2010, http://ssrn.com/abstract=1643628, auch in California Law Review, Vol. 99, 2011,1163-1253. Die Autoren versuchen ein Ranking aller erreichbaren Verfassungen, allerdings nur unter dem Aspekt subjektiver Individualrechte.

[29] Zitate aus John W. Meyer u. a., Weltkultur. Wie die westlichen Prinzipien die Welt durchdringen, 2005, S. 32, 34, 37, 40.

[30] Aus juristischer Perspektive Martti Koskenniemi, Global Governance and Public International Law, Kritische Justiz 37, 2004, 241-254.

[31] Der SFB gibt im Nomos Verlag »Schriften zur Governanceforschung« heraus und hat von 2006 bis heute über 60 Working Papers veröffentlicht.

[32] Gemeint ist Amitav Acharya, How Norms Spread: Whose Norms Matter? Norm Localization and Institutional Change in Asian Regionalism, in: International Organization, 58, 2004, 239-275.

[33] Eine historische Perspektive auf die scheinbar theoriefreie Repräsentation der Welt in Zahlen gibt Mary Poovey, A History of the Modern Fact: Problems of Knowledge in the Sciences of Wealth and Society, Univ. of Chicago Press, 1998 (mehrfach nachgedruckt).

[34] A Survey of Composite Indices Measuring Country Performance: 2008 Update. Office of Development Studies United Nations Development Programme, New York. (UNDP/ODS Working Paper). Vgl. auch die Seite http://composite-indicators.jrc.ec.europa.eu/FAQ.htm.

[35] Wolfgang Knöbl, Die Kontingenz der Moderne, Wege in Europa, Asien und Amerika, 2007, S. 23 ff. Andere erheben sich auf eine Metaebene, indem sie von »soziologischen Modernitätsnarrativen« sprechen, oder verweigern die Diskussion.

[36] Jeffrey C. Alexander, Modern, Anti, Post, and Neo: How Social Theories have Tried to Understand the “New World” of “Our Time”, Zeitschrift für Soziologie 23, 1994, 165-197.

[37] Knöbl, S. 28 ff.

[38] Immanuel Wallerstein, The Capitalist World-Economy, Cambridge, Mass. 1979; ders., Kapitalistische Landwirtschaft und die Entstehung der europäischen Weltwirtschaft im 16. Jahrhundert, 1986; ders., Culture as the Ideological Battleground, in: Mike Featherstone (Hg.), Global Culture, Nationalism, Globalization, and Modernity, London, Newbury Park 1990, 31-55.

[39] Eric D. Blumenson, Cultural Relativism (Artikel für die ENCYCLOPEDIA OF GLOBAL JUSTICE, Springer), 2012 [http://ssrn.com/abstract=2192655]. Zur Kritik des Kulturrelativismus sei verwiesen auf Thomas Sukopp, Wider den radikalen Kulturrelativismus – Universalismus, Kontextualismus und Kompatibilismus, Auflärung und Kritik 2, 2005, 136-154; zum Stand der Theoriediskussion in der Ethnologie auf Karl-Heinz Kohl, Ethnologie – die Wissenschaft vom kulturell Fremden, 3. Aufl., 2011, S. 130ff.

[40] Ein soeben angekündigtes Buch Anne Grüne (Formatierte Weltkultur?, Zur Theorie und Praxis globalen Unterhaltungsfernsehens, 2016) hatte (ich noch nicht zur Verfügung. Es fragt nach der kulturellen Prägekraft des weltweiten Transfers von Fernsehshows und soll – nach dem Werbetext – zeigen, »dass zwar die globale Beachtung gleicher medialer Konzepte zur synchronen Modernisierung von Sehgewohnheiten führt, dabei jedoch die lokalen Diskursmuster erhalten bleiben. Unterhaltung ist also nur auf den ersten Blick global. Obwohl die ›formatierte Weltkultur‹ kulturelle Anschlussfähigkeit erzeugt, verharrt die Weltgesellschaft in lokalen Selbstgesprächen.«

[41] Wolfgang Zapf, Modernisierungstheorie – und die nicht-westliche Welt, in: Thomas Schwinn (Hg.), Die Vielfalt und Einheit der Moderne, 2006, 227-235, S. 234; Thomas Schwinn, Konvergenz, Divergenz oder Hybridisierung?, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 58 , 2006, 201-232, S. 214.

[42] Als solche werden genannt und in verschiedenen Reports gemessen: Bruttosozialprodukt je Einwohner, relativer Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion, Urbanisierung, Anstieg der Lebenserwartung, höhere Bildungsbeteiligung, höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen, Abnahme der Kinderzahl und Verkleinerung der Familie, Freiheitlichkeit, Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit, Effektivität des Regierungshandelns und Korruptionskontrolle, Infrastruktur und Innovationsfähigkeit.

[43] Thomas Schwinn, Konvergenz, Divergenz oder Hybridisierung?, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 58 , 2006, 201-232, S. 207.

[44] Zur Kritik etwa Johannes Berger, Die Einheit der Moderne, in: Thomas Schwinn (Hg.), Die Vielfalt und Einheit der Moderne, 2006, 201-225.

[45] Elizabeth Heger Boyle und John W. Mayer haben die These formuliert, das Recht mit seinen universalistischen Prinzipen könne bis zu einem gewissen Grade an die Stelle der Religion treten (Modernes Recht. Überwindung, Nachfolge oder Übernahme der Funktion von Religion, in: John W Meyer (Hg.), Weltkultur, Wie die westlichen Prinzipien die Welt durchdringen, 2005, S. 179–210. Englisch unter dem Titel » Modern Law as a Secularized and Global Model: Implications for the Sociology of Law« in der Zeitschrift »Soziale Welt« 1998, 213-232).

[46] Auf Casanova berufen sich z. B. Bertram Turner/Thomas G. Kirsch, Law and Religion in Permutation of Order: An Introduction, in: dies. (Hg.), Permutations of Order, Religion and Law as Contested Sovereignties, Farnham, Surrey 2009, S. 1-24, S. 2.

[47] Thomas Luckmann, Die unsichtbare Religion, 1967; Annette Wilke, Säkularisierung oder Individualisierung von Religion? Theorien und empirische Befunde, Zeitschrift für Religionswissenschaft 21, 2013, 29-76.

[48] Karl-Heinz Kohl, Die Ethnologie und die Rekonstruktion traditioneller Ordnungen, in: Johannes Fried/Michael Stolleis (Hg.), Wissenskulturen. Über die Erzeugung und Weitergabe von Wissen, 2009, S. 159-180.

[49] Eric Hobsbawm/Terence Ranger (Hg.), The Invention of Tradition, Cambridge [Cambridgeshire]/New York 1983.

[50] Roland Robertson, Glocalization: Time-Space and Homogeneity-Heterogeneity, in: Mike Featherstone/Scott Lash/Roland Robertson (Hg.), Global Modernities, London 1995, 25-44, S. 28.

[51] Roland Robertson, Globalization, Social Theory and Global Culture, London 1992, S. 130.

[52] Thomas Schwinn, Konvergenz, Divergenz oder Hybridisierung? Voraussetzungen und Erscheinungsformen von Weltkultur, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 58 , 2006, 201-232, S. 226.

[53] Dazu Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 300f.