Literatur: Winfried Gebhardt u. a. (Hg.), Charisma, 1993. Daraus insbesondere Winfried Gebhardt, Einleitung (S. 1-14) und Arnold Zingerle, Theoretische Probleme und Perspektiven der Charisma-Forschung (S. 249-266); Jügen Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, 1973; Heinz Hartmann, Funktionale Autorität, 1964; Hasso Hofmann, Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, 1964; Alan Hyde, The Concept of Legitimation in the Sociology of Law, Wisconsin Law Review 1983, 379-426; Manfred Kopp/Hans-Peter Müller, Herrschaft und Legitimation in der modernen Industriegesellschaft. Eine Untersuchung der Ansätze von Max Weber, Niklas Luhmann, Claus Offe, Jürgen Habermas, 1980; Fritz Loos, Zur Wert und Rechtslehre Max Webers, 1970; Doris Lucke, Akzeptanz. Legitimität in der »Abstimmungsgesellschaft«, 1995; Weyma Lübbe, Legitimität kraft Legalität. Sinnverstehen und Institutionenanalyse bei Max Weber und seinen Kritikern, 1991; dies., Wie ist Legitimität durch Legalität möglich? Rekonstruktion der Antwort Max Webers, ARSP 79, 1993, 80-90; Matthias Lemke/Toralf Stark, Das Legitimatorische als Forschungsgegenstand, i n: Matthias Lemke (Hg.), Legitimitätspraxis. 2016, 209-224; Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1969; Wolfgang J. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik 1890-1920, 1959; ders., Zum Begriff der plebiscitären Führerdemokratie bei Max Weber, KZfSS 15, 1963, 295 ff.; Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, 1931; ders., Legalität und Legitimität, 1932; Helmut Schelsky, Die Arbeit tun die anderen, 1975; Johannes Winckelmann, Legitimität und Legalität in Max Webers Herrschaftssoziologie, 1952.
I. Legitimation als rechtssoziologisches Problem
Worum geht es bei der Frage nach der Legitimität des Staates und seines Rechts? Der Begriff der Legitimation diente im Mittelalter zunächst als Rechtsbegriff zur Verteidigung angestammter Herrschaft gegen Usurpation und Tyrannis. Der gewaltsam verdrängte Herrscher nahm gegenüber dem illegitimen Usurpator die rechtmäßige, gottgewollte Herrschaft für sich in Anspruch. In dieser Bedeutung wurde der Begriff von der Restauration nach dem Sturz Napoleons noch einmal belebt. Mit großem Erfolg konnte Talleyrand auf dem Wiener Kongress das dynastische Legitimitätsprinzip ins Feld führen. Der Rechtsbegriff der Legitimität verlor jedoch seinen Sinn, als man sich im 19. Jahrhundert darüber klar wurde, dass sich juristisch kein genauer Zeitpunkt angeben lässt, zu dem nach einem Umsturz die Legitimität auf die neue Regierung übergeht. Eine neue Bedeutung gewann der Begriff der Legitimität in der juristischen Diskussion mit der Entwicklung zum Positivismus. Die Rechtsform des Positivismus ist die Legalität. Alles Recht beruht auf der Entscheidung dafür zuständiger Stellen, auf den Gesetzesbeschlüssen der Parlamente, den Verordnungen der Regierung, den Verwaltungsakten der Behörden, den Urteilen der Gerichte. Demgegenüber wird mit der Legitimität der Inhalt der Entscheidungen angesprochen Weise: Legitim ist nur das richtige, gerechte Recht. Unter Berufung auf Legitimität wird also der in Gesetzen und Einzelfallentscheidungen verkörperten Legalität ein besseres, höherrangiges Recht entgegengestellt. Dagegen versteht eine wertfreie Soziologie unter Legitimität »die rein faktisch verbreitete Überzeugung von der Gültigkeit des Rechts, von der Verbindlichkeit bestimmter Normen oder Entscheidungen oder von dem Wert der Prinzipien, an denen sie sich rechtfertigen« (Luhmann, S. 27). Es geht also um die Ansichten und Überzeugungen einer Gruppe über soziale Normen, wie sie sich durch eine Meinungsumfrage ermitteln lassen. Heute wird für Legitimität in diesem rein faktischen Sinne mehr und mehr der Ausdruck Akzeptanz verwendet.
Mit der Verstaatlichung und Positivierung des Rechts wird der Legitimationsbe-griff komplizierter, weil man nun zwischen der Akzeptanz der Rechtsform und konkreter einzelner Regelungen unterscheiden muss. Heute ist, jedenfalls auf einer abstrakten Ebene, die Akzeptanz von positivem Recht im Sinne des Rechtsstaats oder der rule of law beinahe weltweit verbreitet. Die Akzeptanz der Rechtsform (rule of law) trägt viele Regelungen mit, die für sich genommen kaum die Billigung der Adressaten finden würden. Es findet also ein Legitimationstransfer von der Rechtsform auf Rechtsinhalte statt. Diese Ausgangslage führt dazu, politische Inhalte möglichst in Rechtsform zu bringen, um ihnen dadurch zur Legitimation zu verhelfen. Das ist an sich vollkommen in Ordnung, ja beinahe selbstverständlich. Die Form prägt bis zu einem gewissen Grade den Inhalt. Das gilt nicht nur für Verträge, sondern auch für Gesetze. Die Legitimationskraft der Rechtsform ist jedoch heute so stark, dass sie sich auch zum Missbrauch anbietet. Der ist besonders in Entwicklungs- und Transformationsländern anzutreffen.
Zu einem spezifisch rechtssoziologischen Problem ist die Legitimationsfrage durch Max Weber geworden, und zwar durch einen Abschnitt über die drei reinen Typen legitimer Herrschaft in seinem großen Werk »Wirtschaft und Gesellschaft«, der als Herrschaftssoziologie bekannt geworden ist.
Zum Verständnis der Diskussion muss man danach zwischen vier Legitimitätsbegriffen unterscheiden:
- Legitimität im Sinne des dynastischen Legitimitätsprinzips,
- Legitimität im Sinne naturrechtlicher Richtigkeit,
- Legitimität im Sinne ethisch-moralischer Rechtfertigung,
- Legitimität im soziologischen Sinne, das heißt, die tatsächliche, durch Beobachtung oder Interview messbare Anerkennung von Rechtsnormen im Publikum.
Man kann die halbe Rechtssoziologie und die ganze Politikwissenschaft unter die Überschrift »Legitimation von Staat und Recht« abhandeln. Daher füllt die Literatur über das Legitimitätsthema Bibliotheken. Daraus ragen wenige Bücher hervor, nämlich »Legitimation durch Verfahren« von Niklas Luhmann (3. Aufl. 1993), »Legitimität und Legalität« von Carl Schmitt (1932) und vielleicht noch von Jürgen Habermas »Legitimationsprobleme im modernen Staat« (in: ders., Zur Rekonstruktion des historischen Materialismus, 1976, 271).
Carl Schmitt hatte den Titel von einem kurz zuvor von Otto Kirchheimer in der sozialistischen Zeitschrift »Die Gesellschaft« (Jg. 2, Heft 7, S. 8-26) veröffentlichten Aufsatz übernommen. Die inzwischen klassische Erwiderung auf Carl Schmitt stammt von Hasso Hofmann, Legitimität gegen Legalität: der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, 1962, 4. Aufl. 2002 .
Die folgenden Abschnitte konzentrieren sich auf die an Max Weber anschließende Diskussion. Die Legitimationstheorie Niklas Luhmanns wird in § 33 behandelt.
II. Legitimationsgründe der Herrschaft
Es sind drei reine Typen der legitimen Herrschaft, die uns Weber vorstellt, die traditionale, die charismatische und die legale oder rationale Herrschaft. Auf den ersten Blick ist zu erkennen, dass Webers Lehre vom möglichen Sinn sozialer Handlungen auch das Vorbild für die Legitimitätstypen abgibt, obwohl den vier Handlungstypen nur drei Typen legitimer Herrschaft entsprechen.[1] Wertrationalität und Zweckrationalität gehen in dem einen Typus rationaler Herrschaft auf.
Verwirrend war und ist die Überschrift »Die nichtlegitime Herrschaft. Typologie der Städte«, die sich in Webers »Einteilung« zum »Grundriß der Sozialökonomik« von 1914 findet. Dazu Stefan Breuer, Nichtlegitime Herrschaft, in: Hinnerk Bruhns/Wilfried Nippel (Hg.), Max Weber und die Stadt im Kulturvergleich, 2000, 63-76.
Die Typen der traditionalen und der charismatischen Herrschaft sind leicht verständlich. Traditionale Herrschaft beruht auf der verbreiteten Vorstellung vom Wert seit jeher geltender Normen. Konkrete Verhaltensmuster werden als verbindlich empfunden, weil sie schon immer gegolten haben. Überkommene Normen verleihen zugleich einem bestimmten Personenkreis die Autorität, anderen Befehle zu geben und Gehorsam von ihnen zu fordern. Dabei gilt der Gehorsam nicht den Normen als solchen, sondern den von ihnen traditionell mit Autorität ausgerüsteten Personen. Ihrer Willkür und Gnade fügt man sich willig, solange gewisse Toleranzgrenzen, die gleichfalls traditionell begründet sind, nicht allzu flagrant oder nachhaltig durchbrochen werden. Dennoch bedeutet Traditionalismus nicht unbedingt Stillstand. Der Ordnungsgehalt der überkommenen Normen kann einer veränderten Lage durch Neuinterpretation alter Gesetze oder durch die Einkleidung in wiederentdeckte Bräuche und Gebote angepasst werden. Gelingt dies nicht rechtzeitig, so gerät die überlieferte Ordnung allerdings in Gefahr, ihre Legitimität zu verlieren.
Fritz Kern hat bereits 1919 in einer Studie über »Recht und Verfassung im Mittelalter«, die zwei Eigenschaften mittelalterlichen Rechts aufgezeigt, die dessen Traditionalität ausmachen: Es war »altes« Recht und es war »gutes« Recht.[2] Man »setzte« es nicht, sondern »fand« es. Dieser Auffassung verdankt eine ganze mittelalterliche Fälscherindustrie ihre Existenz. Die Konstantinische Schenkung war die berühmteste Fälschung des Mittelalters. Sie gibt sich als Urkunde Konstantins d. Gr., der von 306-337 römischer Kaiser war. Im ersten Teil legt der Kaiser ein Glaubensbekenntnis ab und erzählt so dann die Geschichte seiner wunderbaren Bekehrung, seiner Taufe und seiner dadurch herbeigeführten Heilung. Zum Dank will der Kaiser im zweiten Teil den Sitz des heiligen Petrus über den eigenen Thron erhöhen. Daher bestätigt er den kirchlichen Prinzipat Roms und stattet die von ihm gegründeten römischen Kirchen des Erlösers (Lateran), des Petrus und des Paulus mit hohen Ehren und reichen Besitzungen aus. Weiter verleiht er dem Papst die kaiserlichen Insignien und dem Kardinals-Clerus Senatorenrang. Schließlich verlegt er selbst seine Herrschaft nach Osten, also nach Byzanz. Dabei handelte es sich um eine Fälschung, die wohl im 8. Jahrhundert entstanden ist und bis zu ihrer endgültigen Entlarvung im 15. Jahrhundert den Ansprüchen des Papsttums in Rom als Stütze diente.
Der Staat wie der Einzelne waren im Mittelalter dem Recht untergeordnet. Der Einzelne besaß daher auch das Recht zum Widerstand, wenn der Staat gegen das Recht verstieß. Erst mit der Rezeption des römischen und des kanonischen Rechts wandelten allmählich die Rechtsvorstellungen, so dass am Ende das gesetzliche Recht das Gewohnheitsrecht verdrängte. Die Auffassung, dass das Recht lückenlos in den Gesetzbüchern stehe und der Staat dieses Recht setze, ist also verhältnismäßig jung. Der Rechtsbegriff des Mittelalters, so Kern, war »eines der wesentlichen Hindernisse für den Aufbau kräftiger Staatsordnungen« und »seine Ablösung durch das gesetzliche Recht eine der Voraussetzungen für den Aufstieg der europäischen Länder und der Vereinigten Staaten zu Weltmächten.«
Die Rezeption des römischen und kanonischen Rechts war allerdings nur eine von vielen Voraussetzungen oder Ursachen für die Ablösung des traditionalen durch das gesetzte Recht. Möglich wurde dieser Wandel erst durch die aufkommenden neuen Medien.[3] Die ständige Fälschungsgefahr, die der Grund für die Suche nach dem älteren Original bildete, wurde erst durch den Buchdruck ausgeräumt, der nunmehr die Herstellung einer Vielzahl identischer Kopien möglich machte. Auf der diskursiven Ebene spielten die im 18. Jahrhundert aufkommenden Zeitschriften eine Rolle. Sie boten ein Spielfeld für alternativer Geltungsbegründungen eines Rechts, das seine traditionale Legitimation schrittweise einbüßt hatte und sich mit der barocken Welt konfrontiert sah, in der das Alte sich zäh hielt, das Neue aber noch nicht feststand. »Durch die hochgradige Selektivität ihrer periodischen Mitteilungen machen die Zeitschriften die Welt des Rechts selbst größer und unübersichtlicher. In der Zeitdimension: in Strategien des verzeitlichten Nacheinanders bewältigbarer Informationseinheiten, der Fokussierung auf die jeweilige datierte Gegenwart und der Latentstellung von Sinnüberschüssen, findet das Recht Lösungsformen für eine der Welt der Moderne adäquate Komplexität des Rechts.« [4]
Die charismatische Herrschaft ruht auf der gefühlsbedingten Hingabe an eine Person mit ungewöhnlichen Fähigkeiten.
»Reinste Typen sind die Herrschaft des Propheten, des Kriegshelden, des großen Demagogen … Ganz ausschließlich dem Führer rein persönlich um seiner persönlichen, unwerktäglichen Qualitäten willen wird gehorcht, nicht wegen gesetzter Stellung oder traditionaler Würde.«
Seine Anhänger folgen dem Charismatiker gläubig, und er kann einen Verwaltungsstab unabhängig von sachlicher Qualifikation allein auf der Grundlage des ihm entgegengebrachten persönlichen Vertrauens auswählen. Ob es dem Charismaträger gelingt, dank seines Sondertalents aufsteigen, hängt allerdings wohl auch von der Zuschreibungsbereitschaft der Menschen ab. Besonders in Krisensituationen warten sie gewissermaßen auf den »Retter in der Not«, und die Bereitschaft steigt, wenn der dann auch noch schnelle Erfolge vorzeigen kann. Es gibt oder gab aber auch politische Kulturen, große Persönlichkeiten anzuerkennen.
Historiker streiten darüber, ob man den Aufstieg Hitlers seiner charismatischen Persönlichkeit zuschreiben kann. Ludolf Herbst meint, dass ein kleiner Kreis von Gefolgsleuten seit dem Münchener Putsch von 1923 die Legende des charismatischen Führers geschaffen und erfolgreich verbreitet habe. Zumal Goebbels habe Hitler geradezu als »Messias« erfunden, um sich die Hoffnung der Menschen auf einen Retter nutzbar zu machen. Ein großer Propaganda- und Terrorapparat habe dann das seine getan. Hans-Ulrich Wehler hält es für richtig, das verblüffende rhetorische und letztlich politische Talent Hitlers anzuerkennen. Man müsse die Zustimmung zunächst einer großen Fraktion während der Inflationskrise von 1923 und der Weltwirtschaftskrise nach 1929 und später nach den erstaunlichen außenpolitischen und den großen militärischen Anfangserfolgen der Mehrheit der Bevölkerung ernst nehmen.[5]
Für die an Weber anknüpfende Diskussion um die Deutung der jüngeren Vergangenheit ist noch die folgende Differenzierung wichtig: Das charismatische Legitimitätsprinzip ist primär autoritär zu verstehen, d. h. die Autorität des Führers leitet sich nicht erst aus der Anerkennung durch die Beherrschten ab, sondern Glaube und Anerkennung gelten als Pflicht, deren Erfüllung der charismatisch Legitimierte für sich fordert, deren Verletzung er ahndet. Aber dieses Verhältnis kann sich umkehren, wenn die freie Anerkennung des Führers durch die Beherrschten als Voraussetzung und Grundlage seiner Legitimität verstanden wird. Dann wird die Anerkennung zur Wahl. An die Stelle des kraft eigenen Charisma legitimierten Herren tritt der Führer von Gnaden der Beherrschten:
»Der Unterschied zwischen einem gewählten Führer und einem gewählten Beamten bleibt dann lediglich ein solcher des Sinnes, den der Gewählte selbst seinem Verhalten gibt und nach seinen persönlichen Qualitäten gegenüber dem Stab und den Beherrschten zu geben vermag: der Beamte wird sich gänzlich als Mandatar seines Herrn, hier also der Wähler, der Führer als ausschließlich eigenverantwortlich verhalten, dieser wird also, solange er ihr Vertrauen mit Erfolg in Anspruch nimmt, durchaus nach eigenem Ermessen handeln (Führerdemokratie) und nicht, wie der Beamte, gemäß dem (in einem »imperativen Mandat«) ausgesprochenen oder vermuteten Willen der Wähler.«
Die Figur der charismatischen Herrschaft ist nicht zuletzt deshalb relevant, weil sie die Rechtssoziologie vor einem zu kurz greifenden Kausalitätsideal bewahren kann, das politisches Verhalten und seine rechtlichen Emanationen durch Interessen und diese Interessen wiederum mit sozialen Strukturen erklärt. Sie lenkt den Blick auf das eigentlich Politische, das oft durch ein den eigenen Interessen eher zuwiderlaufendes Handeln bestimmt wird.
In der Rechtssoziologie befasst man sich nur mit der Bedeutung von Charisma für die politische Herrschaft. Das ist sicher zu eng. In allen Gruppen und Organisationen können charismatische Personen eine besondere Rolle spielen, etwa Lehrer, Fußballtrainer oder Manager. Literatur über charismatic leadership in business organizations findet in der Zeitschrift The Leadership Quarterly 28, Heft 4, 2017, etwa mit einem Aufsatz von George C. Banks u. a., A Metaanalytic Review and Future Research Agenda of Charismatic Leadership, S. 508–529.
III. Formen legaler Herrschaft
Schwerer als die beiden anderen ist der Typ der rationalen oder legalen Herrschaft zu verstehen. Darin sind einige Unklarheiten eingebaut, die darauf zurückzuführen sind, dass Weber die ohnehin problematische Unterscheidung von Wertrationalität und Zweckrationalität nicht durchgehalten hat. Sie lassen sich jedoch leicht ausräumen.
In der Tat ist es die Form der legalen oder rationalen Herrschaft, der die zeitgenössischen Rechtssysteme, jedenfalls der westlichen Welt, empirisch am ehesten entsprechen, und zugleich tritt die legale Herrschaft mit dem Anspruch auf, gute und richtige Herrschaft zu sein. »Die heute geläufigste Legitimitätsform«, so sagt Weber, »ist der Legalitätsglaube: die Fügsamkeit gegenüber einer formal korrekt und in der üblichen Form zustande gekommenen Satzung« (WuG S. 19).
Formale Legitimität muss einen Ausgangspunkt haben, sie setzt eine Verfassung oder Grundnorm voraus, die bestimmt, welche Gesetze und Entscheidungen formal korrekt sind und deshalb ohne Rücksicht auf ihren konkreten Inhalt als verbindlich akzeptiert werden. Das Fundament der Legalität kann, wie Weber selbst andeutet, seinerseits wiederum traditional, charismatisch oder wertrational sein, und es ist zu vermuten, dass auch noch eine vierte, der Zweckrationalität entsprechende Grundlegung der legalen Herrschaft in Betracht kommt.
1. Traditional fundierte Legalität
Die Vorstellung einer traditional fundierten Legalität bereitet die geringsten Schwierigkeiten. Wenn einmal irgendeine Organisation existiert, die Gesetze erläßt und Einzelfallentscheidungen trifft, dann werden Betroffene und Nichtbetroffene nach einiger Zeit weniger auf den Inhalt der Befehle sehen, als vielmehr darauf, ob die Entscheidung von den zuständigen Stellen erlassen ist. Wenn nur das eingespielte Verfahren beachtet ist, können die zuständigen Stellen in weiten Grenzen für jede beliebige Anordnung auf Fügsamkeit rechnen. Von dem reinen Typ der traditionalen Herrschaft unterscheidet sich die traditional fundierte Legalität im Wesentlichen nur dadurch, dass an die Stelle einer patriarchalischen oder ständischen Verwaltung die Bürokratie getreten ist.
Der traditional fundierte Legalitätsglaube ist heute wahrscheinlich die empirisch am meisten verbreitete staatstragende Ideologie der Gesellschaft: Was die Parlamente beschließen und was die Behörden entscheiden, wird schon richtig sein, denn dafür sind diese Stellen ja da.
2. Wertrational fundierte Legalität
Dagegen ist vermutlich der Glaube an eine wertrational fundierte Legalität gegenwärtig der vorherrschende Legitimitätsglaube der Intellektuellen, insbesondere auch der Juristen. Er korrespondiert mit dem Legitimitätsanspruch, den das Bonner Grundgesetz und andere demokratische Verfassungen für sich erheben. Wertrational ist dabei die naturrechtliche Vorstellung von Menschenwürde und Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit, von unveräußerlichen Menschen und Bürgerrechten. Die Legalität in Gestalt des formellen Rechtsstaats ist daneben nur Mittel zum Zweck: Demokratie, Verfassungsgebundenheit der Gesetzgebung, Gesetzesgebundenheit der Verwaltung und der Rechtsprechung und Allgemeinheit des Gesetzes, diese wesentlichen Merkmale der formalen Legalität sind im Rechtsstaat nicht Selbstzweck, sondern dienen nur der Freiheit und Gleichheit aller Bürger. Diese Sinngebung klingt auch bei Max Weber an. Zu Freiheit und Menschenrechten hat er sich immer wieder leidenschaftlich bekannt. Die Formalisierung des Rechts erschien ihm als Schutz vor Willkür. Insoweit handelt es sich aber bei Weber um persönliche Wertbekenntnisse. Er weigerte sich, einen naturrechtlichen Beweis dieses Standpunktes zu akzeptieren.
Heute verspricht sich vermutlich mancher, inspiriert durch die Gedanken von Habermas, eine diskursive Fundierung der wertrationalen Legalität. Die Implantierung des Diskursmodells in politische Abläufe unter voller Beteiligung des Publikums wird als deliberative Demokratie bezeichnet. In diesem Sinne wird der Begriff »Deliberation« von der Politikwissenschaft verwendet.[6]
Ursprünglich hatte Habermas gerade den Gegensatz von Verrechtlichung und verständigungsorientierter Kommunikation hervorgehoben. Auch in der Rechtssoziologie überwog die Vorstellung, dass juristische Verfahren eher das Zerrbild einer unverstellten Kommunikation bildeten. Dagegen stellte Alexy 1978 die These auf, juristische Verfahren könnten als ein »Sonderfall« des allgemeinen Diskurses angesehen werden. Danach entdeckte auch Habermas die zentrale Bedeutung institutionalisierter Verfahren für das moderne Recht. In »Faktizität und Geltung« durchmustert er die Institutionen des demokratischen Rechtstaats und gelangt zu dem Ergebnis, dass sie mehr oder weniger diskursiv legitimierbar seien. Dieser affirmative Gebrauch der Diskurstheorie kommt in gewisser Weise überraschend, denn institutionalisierte Diskurse sind von strategischer Kommunikation dominiert und damit von der idealen Sprechsituation weit entfernt.
Das gilt erst recht, wenn Demokratie im staatsrechtlichen Sinne betrachtet wird. Dort sind die Chancen zur Teilnahme an einem relevanten Diskurs minimal. Wahlzettel und Stammtisch sind kein Ersatz. Gleichheit ist nicht gewährleistet. Wer Zugang zu den Medien hat, verfügt über einen Verstärker, mit dem er andere Stimmen übertönen kann. Die Wissensbasis, die einem Diskurs erst Substanz geben könnte, wird von Experten und Organisationen verwaltet und ist in der Regel, wenn überhaupt, nur gegen Bezahlung zugänglich. Das parlamentarische Verfahren ist von der Idee einer deliberativen Politik weit entfernt. Parlamentarische Demokratie steht nur deshalb so hoch im Kurs, weil es nichts Besseres gibt. Der diskurstheoretische Heiligenschein hilft der Demokratie wenig.
3. Zweckrational fundierte Legalität
Ob auch eine rein zweckrationale Fundierung der Legalität in Betracht kommt, ist zweifelhaft und umstritten. Zweckrationalität ist in ihrem Kernbereich Rationalität der Mittelwahl. Insoweit entspricht ihr als Herrschaftsform die Bürokratie, denn Bürokratie ist zunächst wie es Weber formuliert, »ein Präzisionsinstrument, welches sehr verschiedenen, sowohl rein politischen wie rein ökonomischen wie irgendwelchen anderen Herrschaftsinteressen sich zur Verfügung stellen kann« (WuG S. 670; dazu ausf. § 79). Mittelrationalität und damit die Bürokratie ist auf Wertgebung angewiesen. In diesem Sinne sagt Weber selbst: »Keine Herrschaft ist rein bürokratisch.« Eine rein zweckrationale Herrschaft ist daher undenkbar. Irgendwie müssen die Zwecke vorgegeben werden. Wenn man dennoch versucht, aus Webers Analysen einen Typ der zweckrational fundierten Legalität herauszupräparieren, so kommen nur Konstellationen in Betracht, in denen die Herrschaftszwecke nicht, wie bisher erörtert, durch Tradition, durch allgemeinverbindlich gedachte Werte oder durch einen charismatisch begabten Führer vorgegeben werden. Es bleibt lediglich die nicht weiter begründete Dezision derer, die das Verfahren der Normsetzung beherrschen. Maßstab für die vom Herrschaftssystem angesteuerten Zwecke wäre dann lediglich das subjektiv empfundene Bedürfnis der Herrschenden. Der Tenor vieler Vorwürfe, die man gegen Weber erhoben hat, läuft darauf hinaus, dass er im Typus der auf die Bürokratie gestützten Herrschaft die Zweckrationalität der Mittelwahl derart verselbständigt habe, dass ihre Angewiesenheit auf eine werthafte Zweckvorgabe verloren gegangen sei.
Aber Kennzeichen rationaler Herrschaft ist für Weber nicht einfach Zweckrationalität. Vielmehr ist es »zum einen, die innovatorische Kraft, die der Freisetzung individuellen Handelns aus traditionalen Bindungen entspringt, zum anderen die Vereinheitlichung, Methodisierung und Systematisierung der Lebensführung die sich als Folge fortschreitender Bürokratisierung ergibt.«[7] Die rationale Herrschaft mit einem bürokratischen Verwaltungsapparat formt einen ihr angepassten Menschen, der sich mit der Ordnung und seiner eigenen Funktion in dieser Ordnung identifiziert, wie Soldaten in der Armee, Werkmeister in der Fabrik, Richter oder Staatsanwälte im Justizapparat zeigen Züge solchen Verhaltens vielleicht nur etwas deutlicher als andere Mitglieder der Modernen Gesellschaft. Eine in allen Gesellschaftsbereichen fortschreitende Disziplinierung der Menschen schafft eine ›formal-operative Rationalität‹, die den rationalen Legitimitätsglauben möglich macht.« (Breuer S. 210-213).
4. Charismatisch fundierte Legalität
Um charismatisch fundierte Legalität handelt es sich dann, wenn sich ein charismatisch legitimierter Führer mit der Bürokratie verbündet (oder umgekehrt) und ihr die Zwecke vorgibt, die sie dann in formell korrekten Verfahren zu konkreten Entscheidungen ausmünzt, mag es sich dabei auch um so ungeheuerliche Zwecke handeln wie unter Hitler die Vernichtung der Juden.[8]
Am Faschismus Hitlers entzündet sich auch ein Streit um Max Weber. Nach der Meinung des Historikers Wolfgang J. Mommsen zeigen sich in Webers Herrschaftssoziologie die Folgen einer Wissenschaftslehre, die den Glauben an ein allgemeingültiges Naturrecht verloren hat. Weber habe eine wertrational legitimierte Herrschaft soziologisch für unerheblich gehalten und damit im Typ der legalen Herrschaft wertentleerte Zweckrationalität zum Vehikel des zwecksetzenden Charisma gemacht. Durch Propagierung des plebiszitären Führerstaats habe er dem Faschismus den Weg gewiesen.
In der Tat hat Weber in seinen politisch wertenden Schriften einem plebiszitären Führer das Wort geredet. Aber auch die zeitweise aktuelle Rede von dem Streben nach »Minimisierung der Herrschaft« stammt von Weber (WuG S. 157, 163, 169, 607 f.). Eine unmittelbare Demokratie, die diesem Ziel am ehesten entspräche, hielt Weber jedoch nur in kleinen homogenen Einheiten für möglich (WuG S. 575). Er sah in der bürokratischen Herrschaft eine unvermeidliche Begleiterscheinung der modernen Massendemokratie. Für Massenstaaten kam seiner Meinung nach als demokratische Staatsform neben der parlamentarischen vor allem die plebiszitäre Herrschaft einer Führerdemokratie in Betracht. Anfangs hatte Weber zwar gegenüber der Monarchie das parlamentarische Regierungssystem favorisiert, dann aber die Überzeugung gewonnen, dass das Parlament zur Auswahl geeigneter politischer Führer nicht tauge. Im Blick auf die angelsächsischen Demokratien wünschte er sich daher einen charismatischen Führer, der auf dem Schlachtfeld des Wahlkampfes die Eigenschaften eines Staatsmannes beweisen sollte: Entschlusskraft, Mut zu Neuerungen sowie die Fähigkeit, Glauben zu wecken und Gehorsam zu finden. Dass er dieser Lösung den Vorzug gab, hatte aber noch einen anderen, beinahe wichtigeren Grund. Er sah durch die ständig wachsende Bürokratie die Errungenschaften aus der Zeit der Menschenrechte bedroht:
»Wie ist es angesichts der Übermacht der Tendenz zur Bürokratisierung überhaupt noch möglich, irgendwelche Reste einer in irgend einem Sinn »individualistischen« Bewegungsfreiheit zu retten? Denn schließlich ist es eine gröbliche Selbsttäuschung zu glauben, ohne diese Errungenschaften aus der Zeit der »Menschenrechte« vermöchten wir heute (auch der Konservativste unter uns) überhaupt zu leben … Wie kann, angesichts der steigenden Machtstellung des uns hier interessierenden staatlichen Beamtentums, irgendwelche Gewähr dafür geboten werden, dass Mächte vorhanden sind, welche die ungeheure Übermacht dieser an Bedeutung stets wachsenden Schicht in Schranken halten und sie wirksam kontrollieren?« (Pol. Schriften, S. 152 f.)
Vor allem anderen fürchtete Weber die legale Herrschaft der Bürokratie als das drohende Gehäuse der Hörigkeit, in dem das Leben aller rational so durchorganisiert ist, dass, wie im alten Ägypten, nur noch ein ameisenhaftes Leben möglich bleibt. Diesem Trend sollte, zumindest nach Webers Vorstellung bis 1919, durch Parlamentarisierung gesteuert werden.
»Gegenüber der nivellierenden unentrinnbaren Herrschaft der Bürokratie … ist das Machtmittel des Wahlzettels nun einmal das einzige, was den ihr Unterworfenen ein Minimum von Mitbestimmungsrecht über die Angelegenheit jener Gemeinschaft, für die sie in den Tod gehen sollen, überhaupt in die Hand geben kann.« (Pol. Schriften S. 299)
Der Kontrollidee der liberalen Gewaltenteilungslehre entsprechend sollte eine parlamentarisch verantwortliche Regierung die Bürokratie lenken und kontrollieren.
Nach dem Fall der Monarchie ist in Webers politischen Anschauungen jedoch eine deutliche Akzentverlagerung zugunsten einer Führerdemokratie erkennbar. Da Weber mittlerweile gegenüber der Eignung des Parlaments zur Führerauslese skeptisch geworden war, drängte er nun darauf, in der neuen Republik die Stellung des plebiszitären Präsidenten zu stärken.
»Ein volksgewählter Präsident als Chef der Exekutive, der Amtspatronage und (evtl.) Inhaber eines aufschiebenden Vetos und des Befugnisses der Parlamentsauflösung und Volksbefragung ist das Palladium der echten Demokratie, die nicht ohnmächtige Preisgabe an Klüngel, sondern Unterordnung unter selbstgewählte Führer ist.«
Insofern ist Mommsen Recht zu geben. Das Arsenal für die Angriffe Carl Schmitts gegen den Parlamentarismus in der Zeit von 1923 bis 1932 liegt in Webers späten politischen Aufsätzen bereit: Das Parlament als Forum des vernünftigen Ausgleichs eine von Schmitt bewusst hochstilisierte Interpretation scheint mit dem Verlust des Glaubens an eine praktische Vernunft, aus der sich verbindliche Richtlinien für politische Entscheidungen ableiten lassen, dahin. Als Auslesestätte der politischen Führer hielt schon Weber das Parlament für untauglich. So betont Schmitt in aller Schärfe den Gegensatz von Parlamentarismus und Demokratie. Die Überwindung des parlamentarischen Legalismus findet er in dem präsidentiellen System des plebiszitären Präsidenten, des »Hüters der Verfassung«, und schließlich fordert er in seinem Buch »Legalität und Legitimität« 1932 eine Neuordnung des Staates durch »substanzhafte Kräfte«.
Ideengeschichtlich sind hier deutliche Verbindungslinien. Aber wichtiger ist der Unterschied, dass Weber den plebiszitären Präsidenten aus der Wahlschlacht mehrerer Parteien und Personen hervorgehen sieht und ihm bei Übertretung der Gesetze den Galgen zeigen will, während Carl Schmitt an die Stelle einer Wahl die Akklamation im Einparteienstaat setzt. Außerdem muss man streng zwischen Webers politischen Ansichten und seiner Soziologie unterscheiden. Für seine politischen Ansichten hat er niemals Wissenschaftlichkeit in Anspruch genommen. Wenn seine Werturteile damals andere waren als unsere, so ändert das nichts daran, dass seine wertfrei und rein beschreibend gemeinte Herrschaftssoziologie noch immer aktuell ist.
IV. Die Messung von Legitimation
Literatur: Bruce Gilley, The Meaning and Measure of State Legitimacy: Results for 72 countries, European Journal of Political Research 45, 2006, 499-525.
Legitimität im soziologischen Sinne, ist, wie gesagt, die tatsächliche, durch Beobachtung oder Interview messbare Anerkennung von Rechtsnormen im Publikum. Es handelt sich um die empirische Version der juristischen Anerkennungstheorie.
Dazu kann man pauschal mit Bruce Gilley nach der Legitimität von Staaten fragen. Heranziehen kann man auch den Bertelsmann Transformationsindex (BTI), der weltweit politische Legitimität u. a. durch Expertenurteile zu Akzeptanz staatlicher Institutionen misst. Auch Eurobarometer und World Values Survey bieten regelmäßige Erhebungen zur politischen Vertrauen und Institutionenakzeptanz in vielen Ländern. Diese Makroinstrumente sind allerdings eher in der politischen Wissenschaft zu Hause als in der Rechtssoziologie. Letztere beginnt mit der so genannten KOL-Forschung, die sich mit empirischen Untersuchungen über die Rechtskenntnisse der Bevölkerung und ihre Einstellung zum Recht befasst (u. § 40 III). Dabei geht es auch um die allgemeine – positive oder negative – Einstellung der Bevölkerung zum Recht. Weiter gehört hierher Fragen ause als in der Rechtssoziologioe. HH
nach der Beliebtheit von Institutionen und ihren Repräsentanten, also etwa von Parlamenten, Polizei und Gerichten. Solche Umfragen werden regelmäßig von den kommerziell organisierten Meinungsforschungsinstituten veranstaltet. Diese Institute frage nauch nach der Output-Legitimität staatlichen Handelns: Führt das System zu nützlichen, akzeptablen Ergebnissen, z. B. was Wohlfahrtsleistungen, innere Sicherheit oder gar Gerechtigkeit betrifft? Solchen eher pauschalen Fragen kann man auch mit differenzierter nachgehen, etwa mit qualitativen Interviews oder Diskursanalysen. Als Verhaltensindikatoren für Legitimation kommen Gesetzestreue, Beteiligung an öffentlichen Angelegenheiten (Wahlen, Ehrenämter) oder auch negativ Proteste und ziviler Ungehorsam.
In der Rechtssoziologie liegt heute ein Schwerpunkt bei der Untersuchung der Verfahrensqualität. Die Verfahrensqualität hat drei Aspekte:
- Input-Legitimität: Werden faire, inklusive Prozesse eingehalten?
- Throughput-Legitimität (Prozessqualität): Sind die Abläufe kompetent, effizient und nachvollziehbar?
- Output-Legitimität (Verfahrensergebnis): Führt das Verfahren zu nützlichen, akzeptablen oder gerechten Ergebnissen?
Mit solchen Themen befasst sich die Procedural-Justice-Forschung (u. § 33 VII-X). Was hier als Input-Legitimität bezeichnet wird, ist allerdings eher unter der Überschrift »Zugang zum Recht« (u. § 84) und in der Literatur zu Diskriminierungsfragen zu suchen.
V. Hegemonie
Literatur: Sonja Buckel/Andreas Fischer-Lescano, Hegemonie im globalen Recht – Zur Aktualität der Gramscianischen Rechtstheorie, in: dies. (Hg.), Hegemonie gepanzert mit Zwang, Zivilgesellschaft und Politik im Staatsverständnis Antonio Gramscis, 2007, 85-104; Duncan Kennedy, Antonio Gramsci and The Legal System, ALSA Forum 6, 1982, 32-37; Ernesto Laclau/Chantal Mouffe, Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus (Hegemony and Socialist Strategy, 1985), 4. Aufl., Wien 2012.
Alan Hyde bestreitet, das Legitimität neben Gewohnheit und Selbstinteresse ein eigenständiges Motiv sei (The Concept of Legitimation in the Sociology of Law, Wisconsin Law Review 1983, 379-426). Den Motiven der Menschen muss die Psychologie weiter nachgehen. Hier soll nur noch auf die Kombination von Gewalt und Einverständnis hingewiesen werden, die in den »Gefängnisheften« von Antonio Gramsci (1891-1937) als Hegemonie auftaucht. Obwohl Antonio Gramsci sein Hegemoniekonzept nicht systematisch ausgearbeitet hat, wurde es doch bald von marxistisch staatskritischer Seite aufgenommen. Heute spielt der Hegemoniebegriff vor allem in der Globalisierungsdebatte eine Rolle. Gramscis Hegemoniekonzept bedeutet gegenüber schlichteren Vorstellungen von Legitimation oder Ideologie insofern einen Fortschritt, als es versucht, die Komplexität von Macht und Herrschaft einzufangen. Macht liegt danach nicht bloß beim Staatsapparat, sondern ist über die Gesellschaft und ihre Institutionen verteilt. Die Zwangselemente der Macht lassen sich ziemlich einfach bei Polizei und Militär verorten. Das Einverständnis mit der Macht ist viel diffuser. Es beschränkt sich nicht auf die Legitimation des Staates, seiner Einrichtungen oder eines Herrschers, sondern es durchzieht die gesamte Kultur und prägt auch die Alltagsorientierungen. Es wird in der Zivilgesellschaft – auch eine Begriffsschöpfung Gramscis – organisiert. Kirche, Schule und Vereine, kulturelle und politische Diskurse und nicht zuletzt die Medien sorgen für den notwendigen Konsens, der zum beherrschenden und damit zum hegemonialen wird. So wird selbst die Verbreitung amerikanischer Unterhaltungskultur zum Element der Befestigung westlicher Hegemonie. Von der marxistischen Ideologiekritik unterscheidet sich das Hegemoniekonzept, weil es die Diffusion der machtstützenden Überzeugungen quer durch alle Klassen oder Schichten betont, während Ideologie eine klassenspezifische Überzeugung sein soll. Die empirische Frage ist dann stets, wie sich aus verschiedenen Diskursen eine hegemoniale Gedankenwelt zusammenfügt.
Als Beispiel einer empirischen Untersuchung lässt sich die Arbeit von Stuart Hall u. a. »Policing the Crisis: Mugging the State, and Law and Order« (1978) lesen, in der gezeigt wird, wie die Verwendung symbolgetränkter Begriffe (Rasse, Jugend, Verfall der Städte) die öffentliche Meinung in eine reaktionäre Law-and-Order Stimmung versetzen kann.
Das Hegemoniekonzept war eigentlich für großflächige politische Konstellationen gedacht. Inzwischen wird es auch, wie das Beispiel zeigt, für lokale Entwicklungen verwendet. Hier könnte die Rechtssoziologie den Anschluss an die Diffusionstheorien der Kommunikationswissenschaft[9] suchen.
[1] Eine umfangreiche Literatur ist darum bemüht, die Handlungstypologie begriffssystematisch auf die Herrschaftstypen zu beziehen. Wie Breuer (S. 194) darlegt, wechselt Weber mit den Herrschaftstypen auf eine makrosoziologische, »an der Eigenlogik von Ordnungen orientierte Perspektive«. Ich versuche im Text eine schlichtere Harmonisierung.
[2] Vgl. zu China Ray Huang, 1587 – ein Jahr wie jedes andere, 1986.
[3] Ethan M. Katsh, The Electronic Media and the Transformation of Law, Oxford University Press, 1989.
[4] Oliver M. Brupbacher, Die Zeit des Rechts, Experimente einer Moderne in Zeitschriften, 2010.
[5] Hans-Ulrich Wehler, Der Nationalsozialismus: Bewegung, Führerherrschaft, Verbrechen, 2009; Ludolf Herbst, Hitlers Charisma: Die Erfindung eines deutschen Messias, 2010. Zusammenfassend und pointiert am 20. 7. 2011 in der FAZ Nr. 166 S. N 4: Wehler, Kräfte einer trübseligen Figur; Herbst, Nicht Charisma, sondern Terror.
[6] Michael Walzer spricht insoweit von der »amerikanischen Variante« der deutschen Diskurstheorie auf einem »niedrigeren Niveau philosophischer Entwicklung« (Vernunft, Politik und Leidenschaft, Defizite liberaler Theorie, 1999, 39).
[7] Winfried Gebhardt, Herrschaftsfreiheit nicht in Sicht, FAZ 15. 5. 1991.
[8] Zur Erklärung der Hitlerherrschaft mit Hilfe des Charismabegriffs im Sinne Webers Maurizio Bach, Die charismatischen Führerdiktaturen »Drittes Reich« und italienischer Faschismus im Vergleich ihrer Herrschaftsstrukturen, 1990; Luciano Cavalli, Charisma and Twentieth-Century Politics, in: Scott Lask/Sam Whimster, Max Weber, Rationality and Modernity, AllenUnwin, London 1987, 317-333; ders., Carisma e tirannide ne XX secolo. Il caso Hitler, il Mulino, Bologna, 1982.
[9] Einen guten Überblick gibt Veronika Karnowski, Diffusionstheorien, 2011.